Nein für Dutschke

Warum Deutschland eine Rudi-Dutschke-Straße guttut – ein Aufruf zur Wahl

von PETER UNFRIED

Warum braucht Rudi Dutschke (1940 bis 1979) unbedingt eine Straße, die nach ihm benannt wird? Die Antwort ist einfach: Weil er es verdient. Vor allem aber: Weil die Stadt Berlin und mehr noch, dieses Land, eine Rudi-Dutschke-Straße braucht – und das längst nicht nur, um nicht mit einer Axel-Springer-Straße allein gelassen zu werden. Dutschke hat als außerparlamentarischer Politiker und Motor einer Bürgerbewegung maßgeblichen Anteil daran, dass ab Mitte der Sechzigerjahre die Verkrustungen im Nachkriegswestdeutschland aufgebrochen wurden, die Verdrängung des Nationalsozialismus und das weltpolitische Desaster des US-amerikanischen Vietnamfeldzugs thematisiert wurde.

Sicher haben Dutschke und 1968 die gesellschaftliche Emanzipation, die Überwindung postfaschistischer Kleinfamilienhöllen und das Staubwischen an den Universitäten nicht allein bewerkstelligt. Sie haben es aber durch die politische Konfrontation auf der Straße beschleunigt. Und allein mit Rock ’n’ Roll und dem Warten auf den Tod des letzten Altnazis wäre das nicht zu machen gewesen. Sicher sind auch längst nicht alle Theorien und Denkversuche von 1968 aus heutiger Sicht überzeugend. Das gilt auch für Dutschke. Was Dutschke zeitlos wichtig macht, sind seine engagierten Suchbewegungen nach alternativen, besseren, befriedigerenden, sozialeren Formen internationalen menschlichen Zusammenlebens.

Wenn in diesem Land unter anderem schon die Gründung und Betreibung der Bild-Zeitung als historischer Verdienst gilt, den man mit einer Straße würdigt, so ist es doppelt irritierend und beklemmend, im Jahr 2007 aus den Argumentationen der Rudi-Dutschke-Straßen-Gegner die alten Irrtümer und den alten Hass herauszuhören. Nicht zuletzt dieser Hass war es, der dazu geführt hat, dass Dutschke am 11. April 1968 von einem Bild-Leser drei Kugeln in den Kopf bekam, an deren Spätfolgen er am 24. Dezember 1979 starb.

Es geht nicht um die Vergangenheit, es geht um die Gegenwart. Ein Straßenname ist nach deutschem Recht nicht Sache der Anwohner, sondern der Gesellschaft. So wie am Checkpoint Charlie in Berlin der eine zentrale Punkt der deutschen Nachkriegsgeschichte nachvollziehbar ist, der Mauerfall von 1989, so können Schulklassen ein paar Meter entfernt den zweiten herausragenden Punkt erleben – die große Kontroverse von 1968. Es geht nicht darum, ob man für oder gegen Dutschke ist, für oder gegen 1968. An jener Stelle, wo die kleine Axel-Springer-Straße demnächst in historischer Gerechtigkeit in die große Rudi-Dutschke-Straße mündet, wird zentrale Geschichte dieses Landes erlebbar und lebendig.

Das alles ist für die überwältigende Mehrheit der Menschen in Berlin, in Friedrichshain-Kreuzberg wie auch der von ihnen gewählten Bezirkspolitiker eine Selbstverständigkeit, wie die längst beschlossene Umbenennung bewiesen hat. Nun aber fordert die Bezirks-CDU per Bürgerentscheid das Bezirksamt auf, „die Umbenennung eines Teils der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße zurückzunehmen“.

Bitte gehen Sie, so Sie aus Friedrichshain-Kreuzberg sind, am 21. Januar zur Wahl und geben Sie dieser gesellschaftlich irrelevanten und ansonsten inhaltlich kaum existierenden Gruppierung in Namen des Bezirks, der Stadt Berlin und der deutschen Gesellschaft eine vierbuchstabige Antwort: NEIN!

Peter Unfried, 42, ist stellvertretender Chefredakteur der taz