Mode für alle Kaliber

Prinzen, Wirtschaftsbosse und Staatspräsidenten sind Miguel Caballeros beste Kunden. Der Kolumbianer stellt schusssichere Couture her. Der Markt boomt!

AUS BOGOTÁ KNUT HENKEL

„Heute schieß ich auf dich“, ruft Miguel Caballero lachend und wieselt vor Andrés Aljure her den Flur entlang. In den Händen hält der quirlige Unternehmer einen Holzkasten, auf dem ein Trommelrevolver Marke Indumil abgebildet ist. Dem kleinen Mann ist es durchaus ernst mit seiner Ankündigung – nur ist er sich sicher, dass seinem Angestellten nichts passieren wird. Miguel Caballero stellt schusssichere Kleidung her, und es macht ihm einen Heidenspaß, deren Sicherheit am lebenden Objekt zu demonstrieren. Immer wenn neue Kunden oder Journalisten aus Übersee den Weg in die 71. Straße in Bogotá finden, bittet der rundliche Kolumbianer zur Vorführung. Dann werden die Gäste aus dem hochmodernen Sitzungssaal im ersten Stock hinunter in den schallgedämmten kleinen Schießstand im Erdgeschoss des Firmengebäudes geleitet.

Heute ist Andrés Aljure das Versuchskaninchen. Der 34-Jährige ist neu im stetig wachsenden Team von Miguel Caballero, demnächst soll er in der vor wenigen Monaten eröffneten Boutique in Mexiko-Stadt arbeiten. „Er hat noch nicht mal seinen Vertrag unterschrieben“, witzelt Caballero und öffnet die Tür zu dem kleinen Raum, in dem die Erzeugnisse aus seinem Haus auf Herz und Nieren geprüft werden. Poster mit Waffen aller möglichen Kaliber und Hersteller hängen an der einen Wand, an der gegenüberliegenden sind Dankesschreiben von Kunden hinter Glas zu sehen sowie mehrere Zertifikate. Die Gütesiegel garantieren die Qualität der patentierten Panzerung aus Caballero-Herstellung. „Unsere Produkte werden kontinuierlich getestet, denn jede Kugel und jede Waffe, die neu auf den Markt kommt, ist eine Herausforderung für uns“, erklärt Marketingchef Agustín Villamarí. Er trägt die Entwürfe der neuen Kollektion in einer Mappe unter dem Arm. Heute begutachtet der Chef die neuesten Kreationen der Design-Abteilung.

Bei Miguel Caballero wird nicht viel anders gearbeitet als in jeder anderen Modefirma, denn die Kunden legen nicht nur Wert auf höchste Sicherheit, sondern auch auf Qualität und einen aktuellen Schnitt. „Mit Materialien wie Leder, Leinen oder Baumwolle haben wir wenig Probleme, denn letztlich lässt sich in nahezu jedem Kleidungsstück eine Panzerung unterbringen“, erklärt Villamarí. Im Programm gibt es gepanzerte T-Shirts, Hemden und Sakkos, aber auch stichsichere Unterwäsche. Bei Jacken ist es am leichtesten, die Panzerung unterzubringen, sagt Villamarí und reicht Andrés eine beigefarbene Lederjacke aus der „Goldenen Linie“ des Hauses. Elegant und unverfänglich sieht die Jacke aus – nichts hat sie mit den dicken Panzerwesten gemein, die man aus Film und Fernsehen kennt. Die eingenähten elastischen Einlagen aus einer Mischung aus Nylon, Aramid und Polyethylen sorgen für hohe Sicherheit. Ständig wird an der Zusammensetzung gefeilt, um die Panzerung noch leichter und noch effektiver zu machen, erklärt Villamarí.

Unterdessen schiebt Miguel Caballero süffisant lächelnd eine Patrone in die Trommel seines Revolvers. „Ich schieße nur ein einziges Mal, also bitte gut aufpassen“, appelliert er mit Gönnermiene an die Besucher und lässt die Trommel des Revolvers einrasten. Andrés Aljure hat mittlerweile die beigefarbene Lederjacke übergezogen und zieht den Reißverschluss hoch. „Fertig“, sagt er und blickt seinen Chef fragend an. Caballero mustert den neuen Mitarbeiter mit gespielter Kaltblütigkeit, dirigiert ihn in die Mitte des kleinen Raumes und klebt ihm in Bauchhöhe eine Markierung mit dem Firmenlogo auf die Jacke. Dorthin will er aus nächster Nähe schießen. Aljure schluckt etwas nervös, bevor er die dunkelblauen Ohrschützer von Caballeros Sekretärin in Empfang nimmt. Die hat die Besucher bereits mit dem obligatorischen Ohrenschutz versorgt und reicht das letzte Paar ihrem 39-jährigen Chef mit dem penibel gescheitelten schwarzen Haar.

Miguel Caballero streift sie sich routiniert über, blickt ein letztes Mal kontrollierend in die Runde und richtet die Waffe auf seinen neuen Verkäufer. „Uno, dos, tres!“ Er drückt ab, es gibt einen gewaltigen Knall, Rauch steigt auf. Ungläubig lächelnd steht Andrés Aljure da, rund um die Einschussstelle ist die Lederjacke versengt. „Nicht mehr als einen leichten Schlag habe ich verspürt“, berichtet er erleichtert, während sein Chef schon mit dem Zeigefinger im Einschussloch pult und nach der Kugel sucht. „Da ist sie ja!“, ruft er triumphierend und zeigt das platt gedrückte, noch warme Metallstück erst seinem Schussopfer und dann den Gästen. Und dann reißt er dem verdutzten André Aljure das weiße Hemd hoch – nicht einmal ein Druckfleck ist zu sehen.

Caballero genießt derartige Vorführungen in vollen Zügen. Nicht allein, weil er von seinen Produkten überzeugt ist, sondern auch, weil er sich seines Talents zur Selbstinszenierung durchaus bewusst ist. Das hat ihm die Vermarktung seiner Produkte erleichtert. Ob es sich nun um den spanischen Thronfolger Felipe handelt, um Brasiliens Präsident Ignacio Lula da Silva, dessen Kollegen Hugo Chávez in Venezuela oder um Hollywood-Schauspieler Steven Seagal – zu seinen Premiumkunden reist der Yves Saint Laurent der schusssicheren Couture stets höchstpersönlich. Ein gemeinsames Foto für das Firmenarchiv verwehren ihm nur wenige seiner prominenten Klienten.

Das war natürlich nicht immer so, denn der Start war alles andere als einfach für den flinken Schneider aus Bogotá. Auf die Idee, schusssichere Kleidung herzustellen, kam Miguel Caballero an der Uni, wo er Betriebswirtschaft und Textildesign studierte. „Eine Kommilitonin, Tochter eines Senators, kam jeden Tag in Begleitung von zwei Bodyguards an die Uni“, erklärt Caballero. Ihm fiel damals auf, dass die beiden keine schusssicheren Westen trugen. „Als ich eines Tages mit ihnen ins Gespräch kam und sie danach fragte, klagten sie, dass die Westen einfach zu schwer und zu sperrig waren.“ Caballero wurde hellhörig, lieh sich etwas Startkapital bei seiner Mutter und begann, die schweren herkömmlichen Panzerwesten en détail zu untersuchen. Durch das Umschichten der Stofflagen sparte er einige hundert Gramm Gewicht ein und brachte sein erstes Produkt an den Mann – einen Sicherheitsbeamten. Diese Berufsgruppe gehört auch heute noch zu den Stammkunden in der Firmenzentrale in der 71. Straße.

Mit seinem Metallzaun, der zusätzlich mit Stacheldraht versehen ist, wirkt das Gebäude wie eine Trutzburg. Alarmanlagen und Sicherheitstüren sind obligatorisch – Caballero zählt längst zu Kolumbiens bekannteren Unternehmern, und die gelten als lukrative Entführungsopfer. Deshalb setzt der Chef auf Hightech bei Kommunikation und Sicherheit. Das gilt natürlich im Besonderen für den Konferenzraum und das eigene Büro – hier könnte sich Caballero im Fall der Fälle verschanzen, denn die Hochsicherheitstüren sind nur mit der richtigen Zahlenkombination zu öffnen.

Auch die Mode aus dem weitläufigen Gebäude, in dem mittlerweile 130 Leute nähen, designen, prüfen und weiterentwickeln, trägt der leicht untersetzte Chef höchstpersönlich. Mehrere Jacketts aus eigener Produktion hängen bei ihm zu Hause im Schrank – wie auch das Prunkstück der Kollektion, eine 1,2 Kilogramm leichte Guayabera. Das gepanzerte Tropenhemd ist besonders beliebt bei den Auftraggebern aus der Region. Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe trägt es in Weiß, sein venezolanischer Kollege Chávez in Knallrot, und auch in der Boutique in Mexiko-Stadt wird das lässige Hemd gern geordert. Das allererste Exemplar fertigte Caballero auf Wunsch eines bekannten Kunden. Dessen Name allerdings, raunt der Firmengründer, werde nicht verraten.

Spezielle Kundenwünsche werden bei Caballero, der von Mund-zu-Mund-Propaganda lebt, diskret und zügig erfüllt. Derzeit ist man an der Ecke zur 71. Straße im Zentrum Bogotás damit beschäftigt, den ersten schusssicheren Kimono zu entwickeln. Auch eine kugelsichere Soutane haben Caballeros Schneider schon produziert. Gefertigt wird, was gewünscht wird, und mit diesem Motto expandiert Caballero stetig. Noch in diesem Jahr ist die Eröffnung einer Boutique in São Paulo geplant. Dort ist die Zahl schutzbedürftiger Millionäre ähnlich hoch wie in Mexiko Stadt, und auch Caracas, Moskau und Barcelona sind potenzielle Adressen für Dependancen, so Agustín Villamarí. Der Marketingchef sucht die Nähe zu anderen Unternehmen aus der Security-Branche. So residiert die Caballero-Boutique in Mexiko-Stadt Tür an Tür mit einem Lieferanten von gepanzerten Limousinen. Für den Einstieg in den brasilianischen Markt wäre auch eine Kooperation mit einer Hubschrauberserviceagentur denkbar – die nutzen die erfolgreichen Unternehmer der Stadt, um dem täglichen Verkehrsinfarkt zu entgehen. Natürlich ist auch der US-Markt lukrativ, weshalb die Teilnahme an der an diesem Wochenende stattfindenden „Shot Show“ in Orlando, Florida, für Villamarí zu den Pflichtterminen zählt. Auf der Fachmesse soll die neue Kollektion erstmals präsentiert werden, Firmenchef Miguel Caballero plant, in Orlando für seine Hochsicherheitsmode persönlich zu werben.

In der Branche genießt die Ware „Hecho en Colombia“ einen guten Ruf. Nicht nur, weil sie in dem vom Bürgerkrieg geprägten Land quasi im Dauertest ist, sondern auch weil Caballero keine Chance auslässt, die Qualität seiner Produkte überprüfen zu lassen. Gütesiegel wie ISO 9001 oder das Label des US-amerikanischen National Law Enforcement and Corrections Technology Center belegen das.

Derzeit bietet die Firma schusssichere Textilien in vier verschiedenen Linien an: Die Classic-Linie ist den Militärs und Sicherheitsbeamten vorbehalten; die Gold-Linie wird in erster Linie für Bodyguards gefertigt, während die Platin-Linie für Politiker, Unternehmer und Schauspieler kreiert wurde und systematisch erweitert wird. Die vierte Linie namens Unlimited richtet sich vor allem an Motorradfahrer. Eine fünfte Linie soll über kurz oder lang für Frauen entstehen. Die können bei Caballero bisher nur Steppjacken und Blousons erstehen. Die Sicherheit made in Colombia hat ihren Preis: zwischen dreihundert und viertausend US-Dollar kosten die Produkte von der Stange. Sonderanfertigungen können natürlich deutlich teurer werden. Den Umsatz für das Geschäftsjahr 2005 beziffert Caballero auf etwa 7 Millionen US-Dollar.

Dabei wollte anfangs kaum jemand etwas von dessen schusssicherer Mode wissen. „In Kolumbien vertraute man der US-Ware, und es hat lange gedauert, bis ich den ersten Kunden überzeugen konnte“, erinnert sich der Firmenchef. Unternehmer, Botschafter im Ausland und Sicherheitsleute gehörten zu seinen ersten Kunden. Inzwischen füllen die Dankesschreiben von Kunden, die dank Caballeros Textilien einen Anschlag überlebt haben, einen ganzen Ordner in dessen Büro. Kolumbiens gewiefter Schneider, der wie ein Sturzbach redet, weiß so etwas auszuschlachten. Einen „Klub der Ehren-Überlebenden“ hat er gegründet – ein effektives Werbeinstrument, das vielfältige Früchte zeitigt. So tragen mittlerweile nicht nur die Polizisten in Bogotá seine Jacken, sondern auch deren Kollegen in Madrid. Auch die US-Botschaft in Bogotá ordert bei Caballero – ein Qualitätsbeweis. Kein Wunder, dass die Jacken so erfolgreich laufen, immerhin haben sie nur noch etwa die Hälfte ihres früheren Gewichts.

Den internationalen Durchbruch in 22 Ländern hat Kolumbiens derzeit wohl erfolgreichster Schneider jedoch vor allem dem Luxussegment seines Hauses zu verdanken. Das wird kontinuierlich ausgeweitet. So brüten die Trendscouts und Designer des Hauses Caballero über High Security Fashion für Scheichs und Rapstars. Der Markt ist vielfältig und will erobert werden, so das Motto des Hauses. Nur ein zahlungskräftiges Kundensegment ist Tabu: die Drogenbosse. Die werden nicht beliefert, betont Caballero und deutet auf einen weiteren Ordner in seinem Regal. „Lista Clinton“ steht darauf, und darin befinden sich die Namen von 6.000 dubiosen Kandidaten, die laut den einschlägigen US-Quellen dem Drogenmilieu zuzurechnen sind. Mit diesen „Narcos“, wie es in Kolumbien heißt, darf man keine Geschäfte machen, und Caballero hält sich an die Liste, um sein aufstrebendes Unternehmen auf Wachstumskurs zu halten. Mit seinem Produkt will er die Welt erobern, „denn ein bisschen Kolumbien gibt es schließlich überall“.

KNUT HENKEL, 41, lebt als freier Journalist in Hamburg