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: Absolut teuer sein

Der boomende Markt macht zeitgenössische Kunst nicht nur zur Ware – er betont auch ihre Besonderheit durch Irrsinnspreise

Haben Sie Sehnsucht nach den Zeiten der New Economy? Als auf dem Neuen Markt die Aktienkurse täglich um ein paar Prozent stiegen? Als selbst die Omas sich schon überlegten, ob sie ihr Geld im Sparstrumpf nicht lieber in Papiere von Internetfirmen anlegen sollten (und sie dann zumindest Telekom-Aktien kauften)? Falls Sie wieder einmal das damals grassierende Goldgräbergefühl haben wollen, brauchen Sie sich nur eine – beliebige – Kunstzeitschrift zu kaufen. Darin wird der gesamte Hype der späten 1990er-Jahr noch einmal nachgespielt, und es ist fast nur von Preisrekorden, tollen Renditen und Schnäppchen die Rede. Wohl nie zuvor wurde Kunst so unverblümt als Ware gehandelt wie in den letzten ein, zwei Jahren.

Wer nur von den steigenden Preisen auf dem Kunstmarkt profitieren, aber deshalb nicht gleich moderne Kunst in der Wohnung aufhängen oder sich gar mit heutigen Kunsttrends beschäftigen will, hat mittlerweile sogar die Chance, sein Geld in Fonds anzulegen, die zeitgenössische Kunst beinhalten. Die Fondsmanager kaufen mit dem eingesammelten Geld Gemälde wie sonst Immobilien oder Aktien, stecken sie in ein Depot – und hoffen, sie in ein paar Jahren teuer verkaufen zu können. Das Unternehmen Art Estate Funds aus Hamburg wirbt immerhin mit einem Renditeversprechen von zehn Prozent pro Jahr um neue Kunden; Werke von Richter, Polke und Rauschenberg sollen’s möglich machen.

Andererseits regen sich bei fast allen, die solche Angebote zur Kenntnis nehmen, kulturkritische Affekte. Es gruselt sie ein wenig, dass über Kunst nicht mehr gesprochen werden kann, ohne gleichzeitig über Geld zu reden. War nicht gerade Kunst ein Hort des Ideellen, wo die Geschäfte des Alltags nichts zu suchen hatten? Wo Zweckfreiheit herrschte und wo der sogenannte schnöde Mammon noch schnöder auffiel als sonst schon? Man mag es als typische Dialektik ansehen, dass das, was besonders viel immateriellen Glanz ausstrahlt, auch besonders begehrt ist – und daher zur hochpreisigen Ware wird, der schließlich viel mehr materielles Kalkül gilt als allem, was von vornherein als Gebrauchsgut produziert wurde.

Doch gibt es einen weiteren Grund, warum Kunstwerke mittlerweile vor allem mit monetären Superlativen Aufmerksamkeit erregen. Hier lebt, zeitgemäß gewendet, eine andere Erwartung fort, die sich an Kunst schon ebenso lange hängt wie die Sehnsucht nach dem Immateriellen: Seit der Romantik und erst recht in den Generationen der Avantgarde stand Kunst für den Ausnahmezustand, für das radikal Andere und durchaus auch schockierend Fremde. Erzeugten ehedem radikale Abstraktionen, gestische Ausbrüche oder tabuverletzende Performances die erstrebte Differenz zwischen der Kunst und allem anderen, so sind es heute die exzeptionellen Preise, durch die dasselbe gelingt: Wenn Gemälde zeitgenössischer Künstler oft schon Millionen kosten und für Werke aus der klassischen Moderne nun bereits mehrfach sogar dreistellige Millionenbeträge gezahlt wurden, dann fällt einem eigentlich außer einem neuen Airbus nichts anderes mehr ein, was ähnlich kostspielig wäre.

Allerdings ist zu bedenken, dass die Andersartigkeit der Kunst damit nicht länger den Künstlern, sondern den Käufern zu verdanken ist: Der Markt macht die Kunst! Nur weil es genügend Interessenten gibt, die bereit sind, jene Millionen für ein Werk zu zahlen, kann Kunst gegenüber allen anderen Waren den Charakter einer Ausnahme haben oder bewahren. In der Entäußerung der gewaltigen Summen drückt sich nicht etwa der „wahre“ Wert der Werke aus; vielmehr ist sie Folge jener Hoffnungen auf Differenz, an denen die Rezipienten so fest zu hängen scheinen, dass sie sie beinahe um jeden Preis zu bestätigen suchen. Dabei ist der Ausnahmestatus der Kunst sogar umso größer, je weniger die Allgemeinheit die Bedeutung eines Werks nachvollziehen kann. Dass ein Gemälde von Jackson Pollock 140 Millionen Euro kosten soll, löst bei vielen nur Kopfschütteln oder auch Beunruhigung aus. Würde derselbe Preis für ein Gemälde von Dürer oder Michelangelo gezahlt, wäre es immer noch exorbitant, doch wäre dann das Moment des Skandalösen und Provokanten viel geringer.

Kunst, die sich trashig, dilettantisch oder flott gemacht gibt, hat also die besten Chancen, Sensationsmaxima zu generieren. Hier garantieren hohe Preise große Aufmerksamkeit. Und wenn man die Werke nicht einmal sehen muss, weil ein Fondsmanager sie gekauft hat und erst mal für etliche Jahre einlagern lässt, dann umso besser! Zumindest scheint es niemanden zu stören, wenn die Renditeobjekte bis zur nächsten Versteigerung im Verborgenen bleiben. Es reicht, um ihren Preis zu wissen. Er stimuliert die Phantasie viel mehr als das, was auf Bildern gemalt ist.

WOLFGANG ULLRICH