Ewiger Erik

„Ich habe immer Hummeln im Hintern“: Während sich andere Radprofis in aller Ruhe im Süden auf die Saison vorbereiten, rast Erik Zabel durch eine stickige Halle – beim Bremer Sechstagerennen

AUS BREMEN FRANK HELLMANN

Die Prozedur wiederholt sich Nacht für Nacht: Hallensprecher Christian Stoll hebt die Stimme, Erik Zabel sprintet los. Stoll schreit, Zabel siegt. Ob Große Jagd, Goldsprint oder Dernyrennen – das Ritual ist mit erstaunlicher Regelmäßigkeit dasselbe. Und das Publikum klatscht und johlt. Keine Frage: Erik Zabel ist auch im zweiten Jahr der unumstrittene Star des Bremer Sechstagerennens.

„Wir machen uns nichts vor“, sagt Sixday-Macher Frank Minder, „ohne das Agreement mit seinem Team Milram würde Zabel hier nicht starten.“ Erst der Milch-Konzern mit Sitz in Bremen ermöglichte die ersehnte Zabel-Verpflichtung. Minder erfreut sich am Tätigkeitsnachweis „des besten Radfahrers, den wir nach dem Krieg hervorgebracht haben“. Seine Begründung: „Keiner hat mehr Siege eingefahren, keiner ist so vielseitig, keiner so sympathisch und glaubwürdig. Er kann nicht nur gut fahren, er will es in jedem Rennen auch.“ Dann erzählt Minder davon, wie der mittlerweile 36-Jährige früh am Nachmittag einsam auf dem Lattenoval seine Runden dreht, wenn der Rest der Spezialisten sich noch im Hotel von den Anstrengungen der Nacht erholt. Zabel – der Unermüdliche.

Heimliche Leidenschaft

In einer Zeit, in der andere Radprofis auf Mallorca oder wie Teamkollege Alessandro Petacchi in der italienischen Heimat an der frischen Luft die Grundlagen legen, strampelt sich Allrounder Zabel in der stickigen Halle ab. Verträgt sich das mit den Erfordernissen des modernen Radsports? „Die Bahn war meine heimliche Leidenschaft“, sagt Zabel, „und die hohen Trittfrequenzen, die vielen Sprints helfen mir auch für die Straße.“ Überdies freue er sich über jeden Wettkampf, „längere Zeit nur zu trainieren, da habe ich gleich wieder Hummeln im Hintern“. Also habe er seine Vorbereitung auf Mallorca halt über die Weihnachtstage vorgezogen. Das ist typisch Zabel. Für seine nimmermüde Strampelei wird er in Bremen von Kindern und Rentnern wie ein Halbgott verehrt.

Zabel ist bewusst, dass er nach den Dopingverdächtigungen um Jan Ullrich so eine Art letzter Imageträger der in Verruf geratenen Sportart ist. „Die Summe der Dopingfälle hat den Radsport gefährdet“, sagt der Profi nüchtern. „Die jüngeren Fahrer werden bald die Folgen spüren – weniger Medienpräsenz, weniger Sponsoren.“ Dass ausgerechnet die Elite-Teams wieder grünes Licht für Discovery-Channel und Ivan Basso gaben, gefällt Zabel „nach den endlosen Diskussionen“ nicht, auch wenn er das so deutlich nicht sagen will.

Immerhin verlangt sein Teamchef Gianluigi Stanga nicht Siege um jeden Preis. Und auch mit seiner Rolle hinter Sprintkönig Petacchi hat er sich längst arrangiert. „Dadurch ist es für mich etwas ruhiger.“ Früher bei Telekom habe er im Frühjahr allein im Fokus gestanden, „da hing fast alles an mir“. Er scheint froh zu sein, dass diese Zeiten vorbei sind. Indes verfolgt der in Unna wohnende Zabel die Entwicklung bei seinem früheren Arbeitgeber genau, redet mit seinem Freund, T-Mobile-Sportdirektor Rolf Aldag, nur zu seinem beschuldigten Teamkollegen Jan Ullrich hat er seit geraumer Zeit „keinen Kontakt“ mehr, würde sich aber nicht aktiv dagegen stemmen, sollte der wieder eine Lizenz bekommen. „Grundsätzlich gilt die Unschuldsvermutung. Wir brauchen in dieser Affäre Beweise.“ Es ist dem Sprinter deutlich anzusehen, dass sich der Fuentes-Fall so lange hinzieht. „Das Störfeuer tut unserem Sport nicht gut“, sagt er.

DNS-Test für alle

Zabel plädiert dafür, dass DNS-Tests obligatorisch werden sollen, und vergleicht die Diskussionen mit denen der Einführung der Bluttests oder der Helmpflicht. „Das gab auch einen Aufschrei unter den arrivierten Fahrern. Heute setzen die Jungen bei jeder Trainingsfahrt einen Helm auf.“

Sich selbst rechnet der Radler noch nicht zum alten Eisen. Im Frühjahr bei seinem Lieblingsrennen Mailand–San Remo eine gute Platzierung, bei der Tour de France um Etappensiege sprinten, die Vuelta fahren und vielleicht bei der WM in Stuttgart ganz vorne landen, „obwohl die Strecke sehr bergig ist“, das sind Zabels Ziele für 2007. Schluss wird dann noch immer nicht sein, „dafür ist Peking 2008 zu nah“. Und schließlich läuft der Kontrakt mit der neuen deutsch-italienischen Mannschaft bis 2008. Erik Zabel wird dann 38 Jahre alt sein. Und dann? „Es gibt Plan A, B und C. Mehr verrate ich nicht, die haben aber alle mit Radsport zu tun.“ Hätte man sich denken können.