Die Rückkehr der Angst

AUS MOGADISCHU ILONA EVELEENS

Als plötzlich Gewehrschüsse neben dem Auto fallen, grinst der Leibwächter vorne im Wagen. Aber seine Finger umfassen seine Pistole fester. Falscher Alarm: Die Schüsse kommen vom nahen Waffenmarkt, wo ein Kunde ein Gewehr ausprobiert hat. Der Markt trägt den geeigneten Namen „Cirtogte“, Luftschießer.

Der Chauffeur manövriert das Auto vorsichtig durch die schmale Straße in Mogadischu. Auf beiden Seiten stehen Holzbuden von Waffenhändlern. Dazwischen läuft Publikum und schaut sich die Waren an. Pulvergeruch vermischt sich mit dem Duft vom Fischkiosk am Ende des Marktes.

Beinahe jeder Somali besitzt eine Waffe, das gehört nach fünfzehn Jahren ohne Regierung zum Hausrat. Der Waffenmarkt sieht jetzt noch genauso aus wie vor sechs Jahren, als Mogadischu zwischen Warlords geteilt war, als kaum jemand von Islamisten sprach und die heutige Regierung nicht einmal ansatzweise existierte. Auch damals fuhren ausländische Besucher in einem Auto voller bewaffneter Leibwächter, gefolgt von einem Pick-up mit noch mehr Leibwächtern und Kalaschnikow-Sturmgewehren. Ajoos Sanoora organisiert für ausländische Gäste diesen Schutz. Er meint, dass sich seit dem Ende der Islamisten doch etwas geändert hat. „Wir waren gewohnt an Schüsse und Explosionen. Ich erschreckte mich damals nicht wegen einer Knallerei wie eben“, erklärt er.

Im vergangenen halben Jahr hatten die Menschen in Mogadischu verlernt, mit Gewehrfeuer zu leben. Die Kämpfer der „Union der islamischen Gerichtshöfe“ (UIC), die Somalias Hauptstadt im Juni einnahmen und die Warlords verjagten, versetzten Mogadischu plötzlich in einen Zustand seltsamer Ruhe, bewacht mit eiserner Faust. „Keine nächtlichen Schießereien, die mich wach hielten. Keine Angst um die Kinder, die zur Schule laufen. Keine Straßensperren von Kriegsherren, wo ihre Milizen uns Geld abpressen“, sagt Sanoora. Aber der Frieden war von kurzer Dauer. Im Dezember wurde die UIC vertrieben von der Armee der somalischen Übergangsregierung, mit starker Unterstützung Äthiopiens. „Als die UIC an der Macht war, habe ich meine Gleichgültigkeit gegenüber Schussgeräuschen verloren. Jetzt muss ich mich wieder an die Gewalt gewöhnen. Einfach ist das nicht. Wir vermissen den Frieden.“

Heute ist Mogadischu wie früher. Wenn geschossen wird, sammeln sich die Menschen wenige Minuten später an Straßenecken, um zu schauen, ob die Gefahr vorbei ist oder nicht. Die Leute blicken wieder aufmerksam um sich. Von überall droht Gefahr – noch mehr als vor dem islamistischen Interregnum.

Das Krankenhaus ist leer

Im riesigen Benadir-Krankenhaus mit mehreren hundert Betten liegen nur fünfzehn Patienten. Die meisten sind junge Männer mit Verletzungen von Kugeln oder Granatsplittern. „Ich bekam einen Schuss ins Knie, als ich die Straße überquerte. Ich hatte nichts mit den Kämpfen zu tun“, erzählt ein 22-Jähriger. Auf der anderen Seite des Saals liegt ein Junge, der mit verwirrtem Blick um sich schaut. Ihm fehlt jede Kontrolle über seinen Körper, sprechen kann er nicht mehr. „Eine Kugel sitzt in seinem Kopf“, erklärt ein Familienmitglied an seinem Bett und sagt ungefragt: „Er ist kein islamistischer Kämpfer, sondern ein unschuldiger Zivilist.“ Außerhalb des Krankenhauses flüstert ein Leibwächter: „Sicher sind das Kämpfer. Aber das muss ein Geheimnis bleiben, sonst kommen Armee und Äthiopier, um sie zu verhaften.“

Früher übten nur die Kriegsherren und ihre Milizen Gewalt aus. Jetzt gibt es mehr Interessengruppen. Untergetauchte islamistische Kämpfer verüben Anschläge auf die Armee, die Polizei und die äthiopischen Truppen. Die schießen zurück. Die Opfer sind meist Zivilisten. Aber auch Milizen von Kriegsherren, die von den Islamisten vertrieben worden waren und jetzt wieder heimgekehrt sind, sorgen für blutige Kämpfe. Keine der bewaffneten Gruppen ist stark genug, um die Lage in den Griff zu bekommen – außer den Äthiopiern vielleicht, aber die halten sich so viel wie möglich im Hintergrund. Sie sind die historischen Rivalen Somalias und wissen, wie die Somalis sie hassen.

Aber es geht in Mogadischu nicht nur um die Frage nach Frieden, sondern um den Alltag. Sonst hätten die Menschen die fünfzehn Jahre vor den Islamisten, als andauernd Gewalt herrschte, nicht überstanden. „Obwohl die UIC Frieden brachte, bin ich erleichtert, dass sie weg ist. Ich bin zwar ein gläubiger Mann, aber die UIC legte die islamistischen Gesetze zu streng aus“, meint Sanoora. Somalis durften keine Fußballspiele mehr anschauen, auch die beliebten Bollywood-Filme aus Indien waren verboten und sogar das am ganzen Horn von Afrika populäre leichte Rauschgift Khat. Frauen mit einem Job wurde dringend geraten, zu Hause bei den Kindern zu bleiben. Die Freiheit, ohne Angst vor Schüssen auf die Straße zu gehen, gab es vor allem für Männer.

Neemo Ahmed ist Sängerin. Die 26-Jährige verdient ihr Geld, indem sie Charakteren in honigsüßen Filmen aus Indien ihre Stimme leiht. Ein Besuch im Kino, um sich eine indische Liebesgeschichte anzuschauen, ist normalerweise der Höhepunkt eines Abends in Mogadischu. Aber nicht unter den Islamisten: Kurz nachdem die UIC die Kriegsherren aus der Stadt vertrieben hatte, musste Neemo Ahmed sich im Präsidium der Union melden. „In deutlichen Worten wurde mir gesagt, dass es gesünder für mich wäre, mit der Arbeit aufzuhören. Ich bin aber die Einzige in meiner Familie, die Arbeit hat und für Einkommen sorgt.“ Indische Filme wurden unter der UIC verboten. Aber Ahmed hatte Glück, sie konnte als Nachrichtensprecherin beim Radio arbeiten.

Sobald die Islamisten die Stadt verlassen hatten, öffneten die Türen der Kinos sich wieder. Dafür schloss die neue Regierung am Montag die unabhängigen Radiosender – gestern wurde das vorerst rückgängig gemacht. Aber Neemo Ahmed sitzt wieder im Studio und doubelt indische Schauspielerinnen auf der Leinwand. Auch ihr Kollege Abdi Miridi, der seine Stimme an männliche Charaktere verleiht, ist froh, wieder zu arbeiten. Aber er vermisst die Islamisten dennoch. „Es war kein Spaß, meinen Job zu verlieren, aber ich war bereit diesen Preis zu zahlen für die Sicherheit, die die Union uns brachte“.

Früher, vor den Kriegen, war Mogadischu eine der schönsten Städte in Afrika. Gebäude und Häuser aus weißen Steinen kontrastierten mit dem blauen Indischen Ozean im Hintergrund. Jetzt ist Mogadischu eine Stadt in Ruinen. Von der Kathedrale, gebaut während der italienischen Kolonialzeit, ist nur noch das Stück einer Mauer übrig, das aussieht wie ein moderner Obelisk. Ähnlich sieht es mit den unzähligen Ruinen der einst repräsentativen Gebäude im Stadtzentrum aus. Die UIC hatte zwar versucht, der Stadt wieder ihren alten Glanz zu geben. Das Flughafengebäude ist frisch gestrichen, Blumenbeete wurden angelegt. Aber im Hintergrund liegen Trümmer und Schutt.

Mitten in den Ruinen versuchen die Einwohner, so weit wie möglich ein normales Leben zu führen. Das funktioniert immer noch gut. Elektrizität wird von privaten Unternehmen geliefert. Wasser kommt zwar aus dem Hahn, aber wird meistens erst auf einer Eselskarre gebracht und dann in einen Wassertank geschüttet. In den Läden gibt es alles zu kaufen. Das meiste ist importiert, aber die Preise sind günstig, weil es keine Zölle oder Steuern gibt. Dass die Hebekräne im Hafen nicht funktionieren, macht nichts: Importierte Autos werden von großen Schiffen auf kleine Boote geladen und bis an den Strand gebracht. Dann tragen Menschen die Wagen zum Ufer.

Die Telefonpreise in Somalia gehören zu den niedrigsten der Welt, private Anbieter – andere gibt es nicht – konkurrieren seit zehn Jahren miteinander. „Jeder wollte ein Telefon haben, um erreichbar zu sein“, erinnert sich Abdulhakiim Hassan Idow, Direktor der Telefongesellschaft Hormuud, an die Anfänge seiner Branche während der Kriege zwischen Warlords. „Die Lage war oft so gefährlich, dass Leute nicht nach Hause konnten. Dann riefen sie sich gegenseitig zur Warnung an.“ Liegt die Blüte des Telefongeschäfts also am Krieg? „Während der sicheren Zeit unter der UIC ging es noch besser“, sagt Hassan Idow. „Wir wuchsen um 25 Prozent. Menschen kauften mehr Handys, weil sie keine Angst mehr vor dem Raub hatten. Das islamische Gesetz schreibt für Diebstahl das Abhacken einer Hand vor.“

Die Bärte sind wieder kurz

Somalis sind pragmatisch und passen sich wie Chamäleons neuen Situationen an. Die Bevölkerung gehört der gemäßigten Sufi-Strömung an. Während der Herrschaft der Islamischen Gerichte ließen viele Männer den Bart wachsen, ein Zeichen von tiefem Glauben. Aber sobald die Islamisten geflüchtet waren, musste Friseur Musa Suleiman Überstunden machen. „Während der Herrschaft der Union hatte ich zwei Kunden pro Tag zum Rasieren. In den Tagen nach der Flucht der UIC hatte ich manchmal fünfzehn.“

Der Imam Mo’alin Mohamed Aadan Dhure ist jedenfalls froh, dass die UIC weg ist. Der Geistliche fand die Union zu extrem. „Als die jungen Radikalen, die in Saudi-Arabien studiert hatten, in der Union die Macht übernahmen, ging es schief. Sie schlugen alte Männer mit Peitschen auf der Straße. Wenn die alten Männer etwas falsch gemacht haben, sollten sie vor ein Gericht, aber die Radikalen nahmen das Gesetz in die Hand. Wir sind Pazifisten, und der Aufruf der UIC, einen heiligen Krieg gegen die Äthiopier anzufangen, passt nicht in unsere Überzeugung.“ Er hofft, dass die Regierung so schnell wie möglich die Kontrolle über das Land gewinnt und wieder Frieden schafft. „Dann müssen die islamischen Gerichtshöfe wieder funktionieren. Wir wollen keine säkularen Gerichtshöfe. Somalia soll ein islamischer Staat werden, wo die Scharia Gesetz ist – aber auch Toleranz herrscht.“