Was ist das Loch im Donut des Kinos?

Das 12. Internationale Bremer Symposium zum Film untersucht das Kino zwischen „Wort und Fleisch“

Im Kino liest man nicht, sondern man erlebt etwas. Deshalb waren die Theoretiker in den 60er und 70er Jahren auf dem Holzweg, als sie als die Meister der Gutenberg-Galaxie versuchten, den Film, wie alle anderen Artefakte und kulturellen Phänomene, auf den reinen Text zu reduzieren. In den 90er Jahren gab es dann die akademische Gegenbewegung mit dem Interesse daran, wie der Film auf die Zuschauer wirkt. Der Amerikaner Rick Altman hat dafür mit dem Donut ein schönes Bild gefunden: In der Mitte von all dem fetten, süßen Teig ist die Leere – also kein Inhalt, kein Text, nur das Sinnliche! Aber die Bilder, Zeichen und Codes eines Films müssen vom Zuschauer ja auch entziffert werden. Kino ist also nur im Spannungsfeld zwischen Text und Körper möglich. Dieses wird beim diesjährigen Bremer Symposium zum Film untersucht, das in dieser Woche im Kino 46 im Waller Medienzentrum stattfindet.

Zum zwölften Mal treffen sich dort Filmwissenschaftler und Medientheoretiker, um Vorträge zu halten und gemeinsam über diese zu debattieren. Der besondere Reiz dieser Tagung besteht darin, dass sie auch offen für ein interessiertes, nichtakademisches Publikum ist. Als eine Veranstaltung der Universität Bremen und des Kino 46 finden sie nicht in den Hörsälen und Lehrräumen des Campus, sondern in einem Kino statt, und dort werden auch viele von den Filmen gezeigt, auf die sich die Referenten beziehen. Wenn etwa Thomas Morsch am Freitag um 20.30 Uhr in seinem Vortrag mit dem Titel „Die Ästhetik des Schocks“ über „die Konjunktur des Schockbegriffs als Teil des Körperdiskurses der Filmtheorie“ doziert, kann danach ab 22 Uhr jeder am eigenen Leibe erfahren, wie bei dem japanischen Film „Audition“ von Takashi Miike eine virtuose Inszenierung des Horrors wirken kann. Achten Sie (wenn Sie noch können) bei einigen Szenen auf die neben Ihnen Sitzenden, denn kaum einer wird auf diese Bilder nicht auch körperlich (mit Abwenden, Zucken, Verziehen des Gesichts oder Ähnlichem) reagieren. Eine andere Reaktion auf einen Film ist das Einschlafen im Kino. Leider gibt es dazu keinen gelehrten Vortrag, aber immerhin wird mit „La maman et al putain“ von Jean Eustache eine dafür ideale Versuchsanordnung geschaffen. Dreieinhalb Stunden lang wird darin fast ausschließlich geplaudert, und dies in einer Vorstellung am Samstagmorgen ab 9.30 Uhr. Eigentlich soll der Film ja die Thesen von Sabine Nessel über die „Konstruktion des Kinematografischen“ illustrieren, aber er zeigt auch, wie schwach das Fleisch bei zu viel Worten werden kann.

Wie bei jedem Symposium gibt es auch hier akademische Stars, deren Vorträge keiner versäumen will. Zum ersten Mal wird etwa Klaus Theweleit in diesem Rahmen sprechen, und am Beispiel der Filme des ersten Kinofantasten George Méliès seine Thesen von einem dritten Körper vortragen, der durch die Wirkung vom Musik oder Film als Schwingungsobjekt zwischen dem Inneren und dem Äußeren entstehen kann. Der Brite Richard Dyer kommt zum zweiten Mal nach Bremen, und nun ist sein Thema der Gesang im Film. Am Beispiel der damals sehr umstrittenen Aufnahmen der schwarzen Jazzsängerin Lena Horne in Hollywoodfilmen der 40er Jahre untersucht er, wie irritierend etwa das verzehrte Gesicht einer singenden Person in Nahaufnahme wirken kann. Lena Horne wurde von den Regisseuren angewiesen, nur ja „hübsch zu singen“. „Singing Prettily“ ist auch der Titel des Vortrags, in dem sich mit Gesang und Mund wieder die Dichotomie von Wort und Fleisch findet.Wilfried Hippen