Biermann profiliert Müller

Das überraschende Votum der SPD für eine Biermann-Ehrenbürgerschaft hat Parteichef Michael Müller durchgesetzt. Er fädelte den Meinungsumschwung ein – gegen die Haltung von Wowereit

VON UWE RADA

Er ist Landesvorsitzender der Berliner SPD und der Chef seiner Fraktion im Abgeordnetenhaus. Nun ist Michael Müller auch der neue starke Mann der SPD. Dass seine Fraktion das Ruder in Sachen Wolf Biermann in letzter Minute herumriss, ist einzig und alleine sein Verdienst. Es wird ihm nicht leichtgefallen sein, immerhin sind Müller und Klaus Wowereit seit mehr als 20 Jahren befreundet.

Monatelang hatte die SPD die von der CDU vorgeschlagene Ehrenbürgerschaft für den Liedermacher Wolf Biermann abgelehnt. Das hatte der Fraktionsvorstand noch vor einer Woche einstimmig beschlossen. Dann setzte ein Sturm der Entrüstung ein – auch aus der eigenen Partei. Das Nein war nicht mehr zu halten. Es war Michael Müller, der das erkannt und seine eigene Haltung auf der Fraktionssitzung am Dienstag revidiert hat.

„Das ist kein Fähnchen-in-den-Wind-Halten, das ist ein Beispiel für Politikfähigkeit“, erklärt SPD-Fraktionssprecher Peter Stadtmüller. Den Meinungswechsel hatte Müller laut Stadtmüller schon am Wochenende geplant. Dass nichts davon an die Öffentlichkeit drang, war nicht nur der Verschwiegenheit der Sozialdemokraten geschuldet, sondern auch einem bis dahin in der Amtszeit von Klaus Wowereit einzigartigen Vorgang. Anders als Müller bestand Wowereit nämlich auf der ablehnenden Haltung der SPD. „Müller hat den Regierenden Bürgermeister von seinem Vorgehen überzeugt“, heißt es dazu offiziell.

Man kann es auch so sagen: Wowereit musste von Müller überzeugt werden. So etwas hat es bis dahin zwischen den beiden Spitzenpolitikern der SPD nicht gegeben. Auch das Schweigen Wowereits während der Fraktionssitzung am Dienstag erscheint vor diesem Hintergrund in einem anderen Licht.

Den Sozialdemokraten, ohnehin von den jüngsten Vorgängen beim Koalitionspartner PDS irritiert, dürfte die Hauruckaktion ihres Landesvorsitzenden auch deshalb Respekt abringen, weil sie sie vor einer weiteren Peinlichkeit bewahrt hat. Immerhin 92 SPD-Bundestagsabgeordnete hatten am Dienstagnachmittag ihren Berliner Genossen ins Gewissen geredet und ein Pro-Biermann-Votum gefordert. Da hatte Müller sich längst umentschieden und konnte die „Einmischung von außen“ als Unding zurückweisen. Es sei ein einmaliger Vorgang, dass ehemalige Berliner Landes- und Fraktionsvorsitzende sich einmischen würden, ohne mit der Landespartei Rücksprache zu halten, so Müller. Die Selbstheilungskräfte funktionieren noch, wenn schon nicht beim Regierenden, dann wenigstens beim neuen starken Mann.

Von einem Machtkampf zwischen Müller und Wowereit will die SPD allerdings nichts wissen. „Es ist richtig, dass Michael Müller an Einfluss gewonnen hat“, sagt Fraktionssprecher Stadtmüller. Verärgert darüber sei Wowereit aber nicht. „Er freut sich, weil Müller loyal ist.“

Loyal, zumindest zu Berlin, ist auch derjenige, der Michael Müller so ins Rampenlicht gestellt hat. Er werde die Ehrenbürgerwürde „sehr gerne“ annehmen, ließ Wolf Biermann gestern mitteilen. SPD und Opposition wollen nun über einen gemeinsamen Antrag beraten.

Um einen Händedruck mit Wolf Biermann wird der Regierende nicht herumkommen, das gehört zum Protokoll. Auch wenn Klaus Wowereit dafür wahrscheinlich am liebsten Michael Müller abkommandieren würde.

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