Asbest blüht blau

Der Neue Berliner Kunstverein zeigt zeitgenössische Fotografie aus Südafrika: Es gibt eine große Renaissance der Dokumentarfotografie

VON TIM ACKERMANN

Das richtige, das wahre Südafrika liegt gleich hinter einem Hügel im Postmasburg District. Zumindest, wenn man David Goldblatt Glauben schenkt. Von der Kuppe des Hügels hat man einen schönen Blick auf die Schutthalde der Owendale Asbestos Mine. Wie Schneeflocken wirken die blauen Asbestfasern, die sich über das ockerfarbenen Geröll gelegt haben – ein Bild pittoresker Giftigkeit.

Goldblatt ist ein Altmeister der südafrikanischen Dokumentarfotografie, der in den letzten Jahren einen Bilderbogen der geschundenen Landschaften seiner Heimat geschaffen hat. Auch das Truckerrestaurant an der N1 in Laingsburg ist so ein malträtierter Ort. Asphaltpiste, sandiger Parkplatz, ein paar Mülltonnen, ein Straßenschild in Form einer Aidsschleife. Eine Aidsschleife? Kurz vermutet man digitalen Bildbearbeitung am Werk. Aber nein, die Szene ist echt. Realität, wie Goldblatt betont, „in the time of Aids“.

„Reality Check“ heißt dann auch passend die aktuelle Ausstellung im Neuen Berliner Kunstverein (NBK), mit zwölf Positionen zeitgenössischer Fotografie aus Südafrika. Der NBK erweitert damit seine Reihe, in der länderspezifische Fotoszenen vorgestellt werden, um das erste afrikanische Land. Der Zeitpunkt ist gut gewählt. Künstler mit Geburtsort Kapstadt oder Johannesburg sind seit einigen Jahren en vogue – die Videokünstler Candice Breitz, William Kentridge und Robin Rhode waren an der letzten Venedig Biennale beteiligt, die Dokumentarfotografen David Goldblatt und Santu Mofokeng an der 11. Documenta.

Für den NBK hat die Kuratorin Pam Warne von der South African National Gallery einen erfrischend heterogen Überblick geschaffen, der auch einige emerging artists präsentiert wie die 35-jährige Lien Botha. „Safari“ nennt Botha ihre Südafrika-Version. Die Fotos hat sie mit einer Kamera mit falsch justierter Brennweite aufgenommen. Jetzt verbergen sich auf den Bildern die Savannenlandschaften hinter einem unscharfen Dunstschleier. Auf die verwischten Fotografien zeichnet die Künstlerin in umso schärferen Linien Fragmente des modernen Lebens. Caravan, Flugzeug, Schwimmer, Brathähnchen. „Safari“ ist Bothas Reflexion über den Selbstbetrug der Kolonisten, zu deren Nachfahren sie sich selbst zählt. „Der Kolonist ist von jeder echten Interaktion mit dem Land abgeschirmt“, sagt sie.

Mit Goldblatt und Bothas prallen beim „Reality Check“ nicht nur zwei verschiedene Künstlergenerationen aufeinander. Auch ihre Ansätze stehen sich konträr gegenüber: die wahrheitbehauptende Dokumentarfotografie gegen die wahrheitanzweifelnde Konzeptfotografie. Dass die Dokumentarfotografie in Südafrika etablierter ist, steht außer Frage. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts diente die Kamera weißen Kolonisten als Herrschaftsinstrument bei der Landnahme. Seit den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts schossen dann schwarze Fotografen zurück, dokumentierten die Gewalttaten des Apartheid-Regimes und die Aktivitäten der politischen Opposition. Der Kampf um die wahren Bilder war ein Kampf um die Definitionsmacht.

Afrikanische Frauen wurden in der Vergangenheit von den Kolonisten besonders gern als verfügbare namenlose Repräsentantinnen einer exotischen Kultur gezeigt. Zanele Muholi greift als schwarze Lesbe nun selbst zur Kamera, fotografiert sich zusammen mit ihrer Geliebten und gewinnt die Kontrolle über ihre eigene Außendarstellung. Doch selbst wenn in diesen intimen Aufnahmen der Traum von der „Rainbow Nation“ wahr wird, es bleibt ein vorübergehender, privater Moment.

Angesichts der politischen Lage sind selbst Verfechterinnen pluraler Wahrheiten wie Lien Botha skeptisch. Und auch Santu Mofokeng hat sich unter dem Eindruck gravierender sozialer Missstände schnell wieder vom postmodernen anything goes verabschiedet. Die Renaissance der südafrikanischen Dokumentarfotografie reagiert auf die drei großen Probleme im Land: die Armut, die sehr hohe Arbeitslosenquote, die fünf Millionen HIV-Infizierten.

Zwei Bilder von Mofokeng verdeutlichen seine Haltung: Sie zeigen Billboards in einem schwarzen Armenviertel von Soweto. „Democracy is forever“ steht auf einer Reklametafeln für Diamanten – eine zynische Anspielung auf den berühmten Werbeslogan der Johannisburger Firma De Beer: „A Diamond is forever“. Mofokeng fragt mit seinem prägnanten Symbolbild, ob die Demokratie in Südafrika nicht vielleicht durch eine neue, ökonomisch geprägte Apartheid abgelöst wird.

So bitter der Inhalt mancher Bilder auch sein mag, der besondere Reiz der zeitgenössischen südafrikanischen Fotografie liegt eben wieder in ihrer Hinwendung zur „Realität“. Mal ist es ein optimistischer Blickwinkel, wie bei Pieter Hugo, der schwarze Richter porträtiert. Mal ein pessimistischer, wie bei Mikhael Subotzky der schwarze Gefängnisinsassen fotografiert. Alle tragen sie jedoch dazu bei, ein klareres Bild ihres Heimatlandes ans Licht zu bringen. Auch wenn Andrew Tshabangus dunstigen Schwarzweißfotografien noch einmal Menschen im Zustand irrationaler religiöser Entrücktheit zeigen: Das moderne Südafrika mag eine Chimäre sein, ein Herz der Finsternis ist es ganz sicher nicht mehr.

Im Neuen Berliner Kunstverein, bis 25. Februar, Katalog: 19 €