„Die Öffentlichkeit wird getäuscht“

Sportpolitiker Winfried Hermann (Grüne) wehrt sich gegen lasche Paragrafen im geplanten Antidopinggesetz

taz: Herr Hermann, die Sportpolitiker der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD haben sich nach zehnmonatigen Verhandlungen nun geeinigt und angekündigt, den Besitz größerer Mengen von Dopingmitteln unter Strafe zu stellen. Dabei soll die Strafbarkeit auf den Besitz „nicht geringer Mengen der häufigsten Wirkstoffe“ wie Anabolika, Epo und Wachstumshormone begrenzt werden. Sie haben den Beschluss „eine ziemlich bescheidene Nummer“ genannt. Warum?

Winfried Hermann: Das, was jetzt vorgelegt wird, steht doch alles schon im Arzneimittelgesetz drin: Wer Dopingmittel in den Verkehr bringt und mit ihnen handelt, der macht sich strafbar. Die große Koalition hat mit neuen Worten beschlossen, was bereits existiert. Das ist nichts anderes als eine Täuschung der Öffentlichkeit. Deswegen habe ich ja auch bei meiner Rede im Bundestag [das Plenum verabschiedete gestern ein Unesco-Übereinkommen gegen Doping; d. Red.] das Beispiel mit dem Schimmel genannt.

Mit dem Schimmel?

Früher hieß es: Ein Schimmel ist strafbar, wenn er mit Dopingmitteln gehandelt hat. Jetzt heißt es: Ein weißer Schimmel ist strafbar, wenn er mit Dopingmitteln handelt. Verstehen Sie?

Es wird Ihrer Meinung nach alter Wein in neuen Schläuchen verkauft?

Den Streitpunkt der Besitzstrafbarkeit – also der Besitz des einzelnen Athleten von Dopingmitteln – hat man übertragen auf Händler und Inverkehrbringer. Aber ich sage noch einmal: Es ist heute schon so, dass derjenige, der Dopingmittel in den Verkehr bringt, bestraft werden kann. Davon mal abgesehen, gibt es zum Antidopinggesetz noch keine Fraktionsbeschlüsse von SPD und CDU. Auch ein Gesetzentwurf liegt noch nicht vor. Die waren jetzt zum Handeln gezwungen und haben eine laue Erklärung abgeliefert.

Auch nach der neuen Regelung kommen Sportler, die mit geringen Mengen erwischt werden, davon. Sie müssten maximal mit einer Verhandlung vor einem Sportgericht rechnen.

Genau. Strafbar machen sich nur die, die Dopingmittel weitergeben und Handel treiben.

Also die, die große Mengen bei sich haben.

Ja, wer mit großen Mengen erwischt wird, ist ein Händler. Das könnte auch ein Sportler sein.

Im Fall des Leichtathletik-Trainers Thomas Springstein war es so: Er hatte die halbe Garage voll mit Medikamenten, meldete aber recht erfolgreich Eigenbedarf an. Am Ende kam er mit einer Bewährungsstrafe davon.

Auch ein Herr Springstein hätte mit dem alten Arzneimittelgesetz wegen Handels mit Dopingmitteln hart bestraft werden können. Das wurde versäumt.

Werten Sie diese Regelung zur Besitzstrafbarkeit als Zugeständnis an den Sport, der darauf drängt, seine Autonomie zu wahren, aber im Antidopingkampf regelmäßig versagt?

Es ist doch merkwürdig, dass jetzt genau die Personen in den Sportverbänden Beifall klatschen, die immer gegen eine Besitzstrafbarkeit des Athleten waren. Warum? Weil sie wissen, dass der dopende Sportler auch jetzt nicht vor ein ordentliches Gericht kommt, sondern nur vor ein Sportgericht.

Was ist Ihr Vorschlag, um das Problem zu lösen?

In der Diskussion um eine Besitzstrafbarkeit habe ich in meiner Fraktion keine Mehrheit bekommen. Wir haben aber einstimmig die Einführung des Straftatbestands Sportbetrug beschlossen.

Was heißt das?

Da es im kommerziellen Spitzensport um Geld geht, macht sich ein Sportler, der dopt, strafbar. Er betrügt, weil er den Wettbewerb verfälscht. Die Zuschauer der Sportveranstaltung werden getäuscht, der Veranstalter selbst und möglicherweise sein Team, mit dem er einen Vertrag hat.

Muss generell ein neues Gesetz her oder müsste nur das „tote“ Arzneimittelgesetz wiederbelebt werden und ein bisschen mehr Ermittlungsbereitschaft der Staatsanwälte her?

Es liegt auch am fehlenden Ermittlungswillen, ja. Deswegen brauchen wir in Zukunft Schwerpunktstaatsanwaltschaften, zum Beispiel zur Verfolgung von Dopingnetzwerken. Es müssen aber auch Gesetzeslücken geschlossen werden.

Aktuell wird die Anti-Doping-Agentur Nada scharf angegriffen, weil man sie für Lücken im Dopingkontrollsystem verantwortlich macht, für eine Häufung der sogenannten Missed Tests, Kontrollen, bei denen die Sportler für Dopingfahnder nicht anzutreffen waren. Teilen Sie die Kritik?

Die Nada ist unterfinanziert. Da hilft keine Summe von 250.000 Euro, da bräuchte man 25 Millionen, um den Antidopingkampf effizient zu gestalten. Die Wirtschaft ist gefordert. Und die Sportverbände sind es auch.

INTERVIEW: MARKUS VÖLKER