Man liest Deutsch

Die Erfolge jüngerer deutscher Autoren haben eine Kehrseite. Der Raum für Übersetzungen aus dem nichtenglischsprachigen ist massiv geschrumpft

VON IRENE GRÜTER

Der Literaturbetrieb zeigt sich manchmal von der sportiven Seite. Zum Beispiel, wenn er in Zeiten der Globalisierung seine nationalen Erfolge feiert. „Die Deutschen lesen wieder so massenhaft ihre eigenen Autoren wie wohl seit den sechziger Jahren nicht mehr, oder: wie eigentlich noch nie“, schrieb die Süddeutsche begeistert. Verständlich wird der Jubel, wenn man bedenkt, wie einseitig der Buchmarkt lange gelagert war – über Jahrzehnte dominierten auf den deutschen Bestsellerlisten Autoren aus dem englischen Sprachraum. Dass dort nun vermehrt Namen wie Daniel Kehlmann, Katharina Hacker oder Arno Geiger stehen, hat Erstaunen hervorgerufen. Warum der Umschwung? Über die strukturellen und inhaltlichen Gründe wurde viel spekuliert. Neue Literaturpreise haben die mediale Aufmerksamkeit für junge Autoren erhöht; doch auch der Schreibstil der neuen Generation sei zugänglicher geworden, leichtfüßiger als der ihrer Vorgänger, die sich stärker am Hinterfragen der Form selbst abarbeiteten, sagen viele.

Über der aufgeregten Kommentierung geht die Feststellung verloren, dass mit dem zunehmenden Interesse an den deutschsprachigen Autoren schlicht ein Stück Normalität eingekehrt ist auf dem deutschen Buchmarkt. Erklärungsbedürftig wäre eher, warum er sich lange so unverhältnismäßig stark an amerikanischen Titeln orientiert hatte. Nimmt nun, da sich diese Orientierung auf den Bestsellerlisten wieder abschwächt, die literarische Vielfalt jenseits US-amerikanischer Erzählmuster also zu?

Dieser Schluss wäre verfehlt, denn je besser es den deutschen Romanen geht, desto schwerer haben es die Übersetzungen insgesamt. Obwohl sich die Neuerscheinungen in der Belletristik in den vergangenen acht Jahren nahezu verdoppelt hat, nehmen parallel dazu die Übersetzungen drastisch ab. Und da von den fremdsprachigen Titeln – trotz sinkender Tendenz – immer noch mehr als die Hälfte englischsprachiger Herkunft sind, bedeutet das für Literatur aus anderen Ländern: Ihr Nischenplatz schrumpft weiter.

Das zeigt ein Blick auf die Statistiken. Im Jahr 1999 machten die Übersetzungen noch ein gutes Drittel des gesamten Belletristikbereichs aus, im Jahr 2005 betrug ihr Anteil gerade noch ein Achtel. In harten Zahlen heißt das: Während vor acht Jahren 2.760 Übersetzungen erschienen sind, waren es 2005 insgesamt noch rund 1.540, und davon stammen immer noch 58 Prozent aus dem Englischen (Quelle: Börsenverein des Deutschen Buchhandels, für 2006 liegen noch keine abschließenden Zahlen vor).

Bleiben also noch rund 650 Bücher für alle übrigen Herkunftssprachen. Jedes Vierte davon wurde aus dem Französischen übersetzt, doch auch die bisher starken Franzosen haben ein gutes Drittel eingebüßt. Dann folgt mit 60 Übersetzungen die spanische Literatur, die im Vergleich zu 1999 aber nur noch halb so stark vertreten ist. Besonders schlecht erging es den Italienern, die 2005 nur noch mit 44 Belletristiktiteln präsent waren – das sind nicht einmal halb so viele wie acht Jahre zuvor. Kräftig zugelegt hat einzig die Literatur aus den skandinavischen Ländern, allen voran die aus Schweden, die allein 3 Prozent aller Übersetzungen stellt. Überraschend sind zudem die 23 Neuerscheinungen aus dem Koreanischen, doch abgesehen davon wird es für nichteuropäische Literatur immer schwieriger, einen Platz auf dem deutschen Buchmarkt zu finden.

Natürlich wäre es ungerecht, die Schuld an diesem Missstand dem neuen Erfolg der deutschen Autoren anzulasten. Viel wichtiger sind weitere, strukturelle Wandlungen des Buchmarkts. Zum einen sind die Lizenzgebühren für ausländische Titel teurer geworden, so dass mittelgroße deutsche Verlage gezwungenermaßen vermehrt auf deutsche Literatur zurückgreifen. Zum anderen geht die Zahl kleinerer Buchhandlungen zurück, die gezielt bestimmte Schwerpunkte vertreten. Das bekommt zum Beispiel der Unionsverlag mit Sitz in Zürich zu spüren, der sich auf asiatische und afrikanische Literatur spezialisiert hat. „In großen Buchhandlungen gehen die Programme kleiner Verlage meist unter“, sagt die Lektorin Ines Wiederkehr. „Wer dort ein afrikanisches Buch in die Hand nimmt, hat sich in der Regel schon vorher informiert.“ Aus den Tageszeitungen stammen die Informationen wohl selten, denn Literatur aus diesen Regionen hat es schwer, Eingang in die Feuilletons zu finden. Und da auch die Literaturbeilagen spürbar schmaler werden – in den Herbstbeilagen 2006 wurden rund 50 Neuerscheinungen weniger besprochen als 1999 – wird sich das nicht so bald ändern. Dass aber in den Buchmessenbeilagen der überregionalen Zeitungen im vergangenen Herbst nicht ein einziger chinesischer oder arabischer Roman vorkam, erstaunt dennoch.

Somit wäre der neue Erfolg der deutschsprachigen Autoren im doppelten Sinn paradox. Er wirkt zwar einerseits dem Mainstream entgegen, indem er die Zahl der englischsprachigen Titel auf dem deutschen Buchmarkt zurückdrängt. Zugleich verstärkt er den Mainstream, da die Fülle an deutschen Büchern den ohnehin knappen Raum für Übersetzungen beschränkt und damit die Vielfalt des literarischen Spektrums verringert.