Männer zum Trösten und Naseputzen

Eine Rarität, aber immer häufiger gesichtet: der männliche Erzieher. In den letzten Jahren hat sich seine Zahl immerhin verdoppelt. Bildungsforscher fordern die Chance auf männliche Rollenvorbilder für jedes Kind. Doch noch zögern die Herren

AUS BERLIN ANJA DILK

Der kleine Junge mit den meerblauen Augen will heute nicht. Er klebt am Hosenbein seiner Mutter, die ungeduldig zum Ausgang drängt. „Hm, bist du stark, was hast du denn Gutes gefrühstückt? Müsli?“, fragt Uwe Draeger. „Jogurt und Käsebrot“, murmelt der Junge. „Dann kannst du die Mama doch bestimmt lässig rausschubsen. Oder?“ Klar kann er. Lacht. Stemmt mit Schwung seine Mutter aus der Kindergartentür.

Uwe Draeger ist Profi im Umgang mit Kleinkindern. Seit fünf Jahren arbeitet der 42-Jährige als Erzieher in der Spreekita, Berlin-Tiergarten. Er liebt es, die Kinderwelt jeden Tag neu zu entdecken. „Es gibt viele Kinder, die heute ohne das Prinzip Mann aufwachsen“, sagt Draeger. „Es ist gut, wenn das in der Kita anders ist.“

Männliche Kindergärtner sind in Deutschland immer noch die Ausnahme. Gerade mal 16.000 Erzieher gibt es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Deutschland – unter 360.000 Erzieherinnen. Doch es tut sich was. „Wir beobachten einen merklichen Anstieg auf niedrigem Niveau“, sagt Wassilios Fthenakis, Professor für Entwicklungspsychologie an der Universität Bozen. Er schätzt, dass der Anteil männlicher Erzieher in den letzten fünf Jahren um etwa das Doppelte gestiegen ist.

Im internationalen Vergleich liegt Deutschland mit knapp fünf Prozent immer noch hinten. So sind in Dänemark acht Prozent der Kitapädagogen Männer. Die Norweger wollen den Männeranteil in der Vorschule in den nächsten Jahren von knapp sieben Prozent auf ein Fünftel steigern.

Doch die Forderungen nach mehr Männern in Erzieherberufen haben auch hierzulande an Bedeutung gewonnen. Allerdings winken viele Männer wegen schlechter Bezahlung und geringem Sozialprestige in diesem typischen Frauenberuf ab. Das Forum Bildung hat „Die Gewinnung von Männern für den Beruf des Erziehers“ deshalb auf seine Agenda gesetzt. Schleswig-Holstein warb mit „Papis in die Kitas“ männliche Kindergärtner, die Berliner Arbeiterwohlfahrt versucht mit dem einjährigen Programm „Männer in die Kitas“, arbeitslose Männer für den Erzieherberuf zu begeistern.

Längst ist klar, wie wichtig männliche Bezugspersonen für die Entwicklung von Kindern sind – für Jungen ebenso wie Mädchen. „Kinder müssen die Chance haben, sich mit beiden Geschlechtern und ihren Verhaltensweisen auseinander zu setzen. Denn sie haben Unterschiedliches zu bieten, aufgrund ihrer eigenen Sozialisation“, erläutert Entwicklungspsychologe Fthenakis. So seien viele Erzieher bewegungsorientierter als ihre Kolleginnen, hätten mehr Interesse an Experimenten.

Und sie gehen oft anders mit Kindern um, meint Anne Recke, Leiterin der evangelischen Spreekita: „Erzieher verhalten sich meist partnerschaftlicher zu Kindern. Sie signalisieren: Das schaffst du, das traue ich dir zu. Erzieherinnen dagegen helfen eher, wenn etwas nicht gelingt.“ Seit 30 Jahren arbeitet Recke in Kindergärten. Lange Zeit ohne männliche Kollegen. Vor fünf Jahren hat sich das geändert. Erstmals bewarben sich auch Männer. Und überzeugten.

Freilich, in den meisten Kitas sind männliche Erzieher immer noch rar. „Und wenn, findet man sie eher auf der Leitungsebene, nicht in der pädagogischen Alltagsarbeit“, so Recke. Von den 14 Pädagogen der Spreekita sind drei männlichen Geschlechts. „Es ist wichtig, dass Männer selbstverständlich im Leben der Kinder präsent sind, auch in der Kita. Als Erziehende, die einen genauso trösten und die Nase putzen“, sagt die Leiterin.

Bei den Eltern kämen die männlichen Erzieher gut an, ja, manchmal würden sie „fast unkritisch in den Himmel gelobt“. Die Kolleginnen waren anfangs skeptisch. Die gegenseitigen Rollenerwartungen holten die Erwachsenen schnell ein: Würden die neuen Kollegen auch backen, basteln, aufräumen? Würden einem die Kolleginnen umgekehrt genauso viel zutrauen im Umgang mit den Kleinkindern? Uwe Draeger amüsiert das heute noch: „Am Anfang hatte ich das Gefühl: Ein Mann ist fürs Grobe. Die unangenehmen Sachen blieben an mir hängen. Raus mit den Kindern beim Regen.“ Längst hat sich die Zusammenarbeit eingespielt.

Bereut hat Draeger die Entscheidung nie. „Mir war früh klar, dass eine Karriereleiter für mich nichts ist. Und Geld ist nicht so wichtig. Ich wollte einen Beruf, bei dem ich abends nach Hause komme und sage: Hey, das hat richtig Spaß gemacht heute“, sagt Draeger, schwingt sich auf sein schweres Motorrad und gibt Gas.