Kampf im Verborgenen

Nigerias Homosexuelle leben gefährlich. Ein Gesetzentwurf will nicht nur Homosexualität kriminalisieren, sondern jede Beschäftigung damit. Dieser Artikel wäre dann in Nigeria verboten. Ein Besuch bei Schwulen in der Illegalität: „Die meisten Nigerianer glauben daran, dass Schwule Sünder sind“

AUS IBADAN HAKEEM JIMO

Fabia Princewill hat etwas getan, was die anderen in der Runde sich nicht trauen: Er hat sich freiwillig geoutet. Was für nigerianische oder überhaupt afrikanische Verhältnisse noch unglaublicher scheint: Er hat eine Geburtstags-Schwulen-Party im Haus seiner Eltern geschmissen. Und das sogar mit deren Zustimmung. „Ich glaube, da wurde meinen Eltern klar, dass ich wirklich schwul bin. Vorher hatten sie noch Hoffnung, dass ich es nicht ernst gemeint hatte“, sagt der 26-Jährige, der im letzten Jahr Mikrobiologie studiert.

Für diesen Mut bewundern ihn die anderen in der Gesprächsrunde. Da ist Dare Odumuye, der Gastgeber. Der Mittvierziger ist Gründer von „Alliance Rights Nigeria“, einer Organisation für die Rechte von nigerianischen Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen, abgekürzt LGTB. Dare wohnt im Nebenhaus eines Bungalows in einer besseren Gegend von Ibadan.

Ibadan, knapp zwei Autostunden nördlich der riesigen nigerianischen Küstenstadt Lagos und selbst eine Millionenstadt, liegt tief im Land der Yoruba-Volksgruppe. In die Nachbarschaft von Dare kommt man als Besucher nur, wenn man sich am Eingang anmeldet. Deswegen wohnt Dare hier gern – die Gegend erspart ihm Ärger mit homophoben Jugendgangs.

Alle in der Runde sorgen sich, ins Visier von Schwulen-Hassern zu geraten. Deswegen wollen sie anonym bleiben. Wenn ein nigerianischer Journalist diesen Text schreiben würde, würde auch er sich in Gefahr begeben, sich demnächst wahrscheinlich sogar strafbar machen. Denn ein neues Gesetz, das Nigerias Kabinett bereits verabschiedet hat und das in Kürze durch das Parlament gehen soll, stellt jeglichen Kontakt mit Schwulen unter Strafe. Bis zu fünf Jahren Gefängnis drohen jedem, der die Sache der Homosexuellen in jedweder Weise unterstützt, diese Lebensform propagiert oder auch nur Interviews dazu führt. Schon jetzt ist Homosexualität in Nigeria verboten und wird als Sodomie gebrandmarkt; in einigen muslimischen Bundesstaaten steht darauf sogar die Todesstrafe. Aber das neue Gesetz mit dem schönen Titel „The Prohibition of Relationships Between Persons of the Same Sex, Celebration of Marriage by Them, and for Other Matters Connected Therewith“ würde sogar die Befassung mit Homosexualität kriminalisieren.

Während einer Lesung zum Gesetzentwurf hetzte ein Abgeordneter, dass es mit Nigeria wegen der Schwulen abwärts gehe. Die überall grassierende Bestechungskultur, die Nigeria zu einem der korruptesten Länder der Welt gemacht hat, kam dem Abgeordneten als Grund für die Probleme des Landes nicht in den Sinn. Trotz solch absurder Kausalzusammenhänge kommen diese Tiraden beim Volk an. Denn Nigeria ist nicht nur sehr korrupt, sondern auch sehr religiös. „Die meisten Nigerianer würden mit Bestimmtheit sagen, dass Schwule Sünder sind und Sodom und Gomorrha über die Gesellschaft bringen und deswegen Gott wütend auf Nigeria ist“, sagt Dare.

Schwule gelten als Sünder

„Viele in Nigeria können sich nicht einmal vorstellen, dass es Schwule und Lesben im Land gibt“, sagt Funmilayo Ademola. Die Grundstücksmaklerin ist 28 Jahre alt und bisexuell. Sie bevorzugt Frauen. Aber macht sich nichts vor: Afrikanische Frauen sind stark von Männern abhängig. Schon finanziell. Die Familie erwartet sogar von den Freunden ihrer erwachsenen Töchter, dass diese sich bald um deren Belange kümmern. Zum Beispiel die Ausbildungskosten übernehmen. Frauen und besonders junge Frauen verdienen gar nicht so viel, dass sie allein zurechtkommen könnten, geschweige denn eine Partnerin unterhalten könnten. „Es ist überhaupt nicht denkbar, dass man einen gleichgeschlechtlichen Partner seiner Familie vorstellt. Meine Familie ist absolut dagegen. Aber was kann ich machen. Es ist in mir drin, dass ich Frauen mehr mag als Männer“, sagt Funmilayo Ademola.

Sie erzählt, wie sie ihre sexuelle Vorliebe als 15-Jährige zum ersten Mal gespürt habe. Sie fühlte sich in der Schule zu einem älteren Mädchen hingezogen. Und diese habe das Interesse schnell gemerkt, denn sie sei selbst lesbisch gewesen, erzählt die 28-Jährige. Für Funmilayo Ademola muss es schwer gewesen sein, denn sie hat dieses Verhältnis nicht geheimgehalten: „Ich wurde von den Lehrern geschlagen und beschimpft, wie ich ich nur so etwas tun könne.“

Funmilayo Ademola weiß ziemlich genau, wie es für sie weitergeht. Sie wird einen Mann heiraten und auch Kinder zeugen, aber stets eine Freundin haben, der sie sich wirklich hingeben kann. Olajide Taiwo ist da schon weiter. Er ist 44 Jahre, verheiratet und hat zwei Kinder. „Ich habe in das Familienleben eingewilligt, um den Schein zu waren“, sagt der sehr weiblich wirkende Mann. Schon im jugendlichen Alter war ihm seine Sexualität bewusst. Seither tingelt er durch die Schwulenszene von Lagos und Ibadan. Einmal sogar, in den 80er-Jahren, wurde er im Norden Nigerias zu einer Party eingeladen. Es war ihm schnell klar, dass es eine Schwulen-Party war. Der Gastgeber begrüßte ihn mit einer innigen Umarmung. Es war der Militärdiktator des Landes.

Homophobes Afrika

Solche Widersprüche freuen die Homosexuellenaktivisten. Dare Odumuye weiß, dass einflussreiche Politiker für seine Sache kämpfen. Sie fädeln es ein, dass die Anhörungen im Parlament zum neuen Gesetzentwurf nichtöffentlich sind. Denn wären sie öffentlich, würde die Homophobie-Stimmung überhandnehmen. Nur im Stillen kann man vernünftig diskutieren. So läuft das politische Spiel in Nigeria. Dennoch bleibt ein weiter Weg. „Wir brauchen einerseits Geld. Aber andererseits auch technische und professionelle Unterstützung. Dieses neue Gesetz müsste auf seine Verfassungsmäßigkeit getestet werden. Auch im Westen mussten sich Schwule Rechte erkämpfen“, spricht sich Dare Mut zu.

Die Gruppe in Ibadan ist wahrlich nicht allein im Kampf gegen Schwulenfeindlichkeit in Afrika. Vor ein paar Monaten verboten Behörden in Ghana eine LGTB-Konferenz. Seither fühlt sich der Organisator bedroht. Einer lesbischen Frau in Uganda zerstörten Angreifer das Büro. In Simbabwe und Namibia haben die Staatschefs Homosexuelle als minderwertig gebrandmarkt.

Der afrikanische Teil der anglikanischen Kirche hat eine teilweise Abspaltung von der englischen Mutterkirche beschlossen, als in den USA ein schwuler Bischof geweiht wurde. Der nigerianische Präsident begrüßte diese harte Haltung und beschrieb Homosexualität als „unbiblisch, unnatürlich und unafrikanisch“. In Kamerun veröffentlichte eine Zeitung die Namen von 50 vermeintlich schwulen hochrangigen Politikern und Funktionären und forderte ihre strafrechtliche Verfolgung, weil Homosexualität in Kamerun verboten sei. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bezog daraufhin Stellung gegen die zwangsweise durchgeführte Analuntersuchung als Beweismittel.

Laut Südafrikas Ex-Vize-Präsident und möglichem Präsidentschaftskandidat Jacob Zuma sind gleichgeschlechtliche Ehen eine Schande für die Nation und für Gott. Im Dezember wurde allerdings Südafrika das erste Land des Kontinents, das gleichgeschlechtliche Ehen legalisierte, und der Erzbischof von Kapstadt, Desmond Tutu, hat Nigerias Anti-Schwulen-Gesetzentwurf kritisiert.

Dare Odumuye macht sich Mut: „Auch andere Kampagnen hatten es schwer: zum Beispiel Kondom-Kampagnen, Abtreibung, Familienplanung, Sexarbeit und so weiter. All diese Leute wurden zunächst übelst beschimpft. Dennoch haben viele weitergearbeitet und wichtige Basisarbeit geleistet, ohne die sie nie Anerkennung bekommen hätten.“ Denn es gehe um Millionen von Menschen. Und wenn Nigerias neues Gesetz durchkäme, hätte das Auswirkungen für ganz Afrika und Südafrika stünde isoliert da.

Moral und Sexualität

Für Fabia Princewell hatte sein Coming-out unschätzbare Vorteile. Seine Familie ist damit klargekommen. Deswegen kann er jetzt frei mit seinen Eltern über seine Homosexualität reden. Auch die Geschwister haben es akzeptiert und sich sogar mit seinen schwulen Freunden angefreundet. Einige von Fabias Schwestern helfen ihnen sogar, den Schein vor ihren Familien zu wahren, indem sie bei Bedarf die Freundinnen mimen.

Fabia erinnert sich, wie seine Eltern zunächst verzweifelten und sagten, dass Schwulsein in diesem Teil der Welt nicht möglich sei. „Ich antwortete meinem Vater, dass es eine schmale Linie zwischen Moral und Sexualität gebe“, erinnert sich der 26-Jährige. „Später erkannte mein Vater, dass Sexualität verschiedene Optionen zulässt und ich meine Wahl getroffen habe, was mich nicht zu einem schlechteren Menschen mache.“ Heute kommen seine Freunde zu ihm nach Hause, und seine Eltern begrüßen sie. „Es geht sogar so weit, dass sie Kommentare über meine Liebhaber abgeben. Sie mögen junge Männer, die wissen, was sie im Leben wollen. Es ist egal, dass sie schwul sind. Aber keine Rastamänner oder so. Einfach normal.“