Ein Tenor: Der Mord ist Verrat an der Nation

Die türkischen Medien zeigen einhellig ihr Mitgefühl mit dem ermordeten armenisch-türkischen Journalisten. Das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit

BERLIN taz ■ So geschlossen wie die Istanbuler bei der Beerdigung des armenisch-türkischen Journalisten aufgetreten sind, bezieht auch die türkische Medienlandschaft derzeit im Fall Hrant Dink Stellung: Alle Tageszeitungen und Fernsehsender haben seine Ermordung scharf verurteilt. Die auflagenstärkste Tageszeitung Hürriyet schrieb, der Mörder habe die türkische Nation verraten und titelte gestern auf ihrer Homepage: „Die Türkei hat ihr Kind begraben.“ Die übrigen türkischen Medien folgen einheitlich diesem Tenor.

Dass ist keine Selbstverständlichkeit, wenn man bedenkt, dass die Türkei bis heute den Genozid an den Armeniern leugnet, bei dem vor 90 Jahren mehr als eine Million Menschen getötet wurden. Kritiker, die dennoch auf die historische Tatsache des Völkermordes hinweisen, müssen mit massiven Angriffen und Anklagen rechnen. Auch Dink war wegen angeblicher Beleidigung des Türkentums zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden.

Um so erstaunlicher also, dass die Medien nun ihr Mitgefühl äußern. „Die Menschen haben Hrant Dink bei der Beerdigung nicht alleingelassen“, schreibt die liberale Milliyet und Sabah: „Zehntausende haben Dink verabschiedet.“ „Schüsse auf die Türkei!“, titelt die links-nationale Cumhurriyet. Auch türkische Prominente wie etwa die Popkönigin und Grand-Prix-Eurovision-Siegerin Sezen Akzu würdigten im Fernsehen den ermordeten Journalisten.

Bereits in den vorigen Tagen solidarisierten sich die türkischen Medien mit dem Opfer. So schrieb die Milliyet am Samstag: „Hrant Dink ist die Türkei“, und Sabah bezeichnete die Ermordung des Journalisten als den „größten Verrat“ an der Türkei. Die durchweg anteilnehmende Berichterstattung zeigt aber auch, wie sehr die Türkei bei dieser politisch motivierten Tat die Reaktionen aus dem Ausland fürchtet. Der Mord an Dink löste auch in vielen Teilen der Welt Entsetzen aus.

So verurteilte der französische Präsident Jacques Chirac den Mord als „grauenhaften“ Akt. Die Türkei habe eine „seiner mutigsten und freiesten Stimmen“ verloren, erklärte er. Zuvor hatten bereits der deutsche EU-Ratsvorsitz und die USA die Tat kritisiert.

Lediglich die konservative Zeitung Türkiye hielt sich mit ihrer Berichterstattung zurück. „Man sollte die Fragen klären, ob Hrant Dink wegen seiner Meinung umgebracht wurde oder ob er als Zielscheibe benutzt worden sei, um der Türkei zu schaden“, kommentiert das Blatt. Auf der Online-Seite war gestern von der Beerdigung auch nichts zu lesen.

CIGDEM AKYOL