Zwischen den Arbeitswelten

In Hannover und Bremen läuft das bundesweite Dokumentarfilmfestival „ueber arbeiten“

Im Kino sieht man mehr Menschen sterben als arbeiten. Das Bild eines Menschen bei seiner alltäglichen, ganz gewöhnlichen Arbeit gehört in Spielfilmen zu den am strengsten beachteten Tabus. Denn es zeigt ja genau das, wovor wir entfliehen wollen, wenn wir abends nach Feierabend eine Kinokarte kaufen. Dabei ist es wichtig, dass die Menschen sich gegenseitig über ihre Arbeitssituationen verständigen und Missstände publik machen. Doch dafür bietet das kommerzielle Kino keine Freiräume, solange die Botschaft nicht geschickt in einen unterhaltsamen Film hineingeschmuggelt wurde. Dass Arbeitende zusammenkommen, um sich einen Film anzusehen, in den ihnen etwas über ihre eigene Situation gezeigt wird, ist im System nicht vorgesehen.

Darum ist solch eine Initiative wie „ueber arbeiten“ so außergewöhnlich und nützlich. In mehr als 80 deutschen Städten organisiert sie diese Festivals, bei denen (in dieser Woche im Bremer Atlantis und in Hannover bis zum 14. 2. im Kino im Künstlerhaus) elf Dokumentarfilme zu Aspekten der Arbeit, Wirtschaft und Globalisierung aufgeführt werden. Zu jedem Film organisiert ein örtlicher Kooperationspartner eine Diskussionsrunde, die nach der Projektion die angesprochenen Probleme konkretisiert und vertieft.

So hat etwa für den Film „Schwarzes Gold“ über den wahren Preis des so billigen Genussmittels Kaffee in Bremen der „Weltladen“ das Panel zusammengestellt. „Des Wahnsinns letzter Schrei“, in dem Harz-IV-Empfänger ihr Leben unterhalb der Armutsgrenze schildern, wird vom paritätischen Wohlfahrtsverband betreut und bei „Irgendwo Dazwischen“, einer Studie, die drei 17-Jährige während eines Sommers begleitet, in dem sie sich für einen Berufsweg entscheiden müssen, lädt der „Deutsche Bundesjugendring“ die Gesprächspartner ein.

Eine Gefahr bei solchen Veranstaltungen, bei denen die Filme eher wegen des Themas als wegen der jeweiligen künstlerischen Umsetzung ausgewählt wurden, liegt in ihren oft mangelhaften filmischen Qualitäten. Die Bremer „Umweltfilmtage“ sind dafür ein mahnendes Beispiel. Umso erstaunlicher ist es, dass bei der Auswahl der Filme von „ueber arbeiten“ offensichtlich auch Cineasten das Sagen hatten. Denn viele der Dokumentationen haben jenen ästhetischen Mehrwert, der sie auch für die nicht direkt betroffenen sehenswert macht. „Zwischen den Welten“ von Yusuf Yesilöz ist etwa das behutsam-sensible Porträt einer Kurdin, die mit neun Jahren in die Schweiz kam und sich dort nach vielen Schwierigkeiten erfolgreich an die fremde Kultur angepasst hat. All die aktuellen Konflikte um die im Westen lebenden Muslime werden hier im Mikrokosmos einer Familie mit oft erstaunlichen Lösungen ausgetragen.

Ein anderer Film im Programm hat gerade in dieser Woche seinen Kinostart in den deutschen Kinos. In „Enron – The Smartest Guys in the Room“ erzählt der amerikanische Filmemacher Alex Gibney die Geschichte vom größten Wirtschaftsbetrug aller Zeiten. Aber der wohl seltsamste und originellste Film des Festivals ist „John & Jane“ von Ashim Ahluwalla. Der indische Filmemacher erzählt darin von den Angestellten eines Callcenters in Mumbai, die US-Amerikanern am Telefon etwas verkaufen sollen, ohne dass diese merken, dass sie nicht mit Landsleuten sprechen. Mit dem Akzent geht bei diesen jungen Menschen zunehmend auch die Identität verloren, so dass sie wie gespenstische Irrläufer in einer virtuellen Parallelwelt der Globalisierung wirken.

Wilfried Hippen