nachruf
: Der Reporter des Jahrhunderts

Die schönste Zeit in meinem Leben war die Kindheit“, sagte Ryszard Kapuściński in einem der wenigen Interviews, in denen er etwas über sich selbst preisgab. „Obwohl diese Zeit zugleich schrecklich war.“ Er war sieben Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Wer den „Reporter des Jahrhunderts“, wie Kapuściński genannt wurde, verstehen will, muss sich diese Urszene vergegenwärtigen. Das erste Bild, an das Kapuściński sich erinnert, waren silberne Donnervögel, die über das ostpolnische Dorf Pinsk flogen. Der kleine Ryszard wollte zu den hoch aufspritzenden Erdfontänen laufen, doch die Mutter befahl ihm, sich auf den Boden zu werfen.

Als Stalin die Ostpolen nach Sibirien deportieren lässt, gelingt den Kapuścińskis die Flucht nach Warschau. Dort finden sie Zuflucht ausgerechnet in Sierakow bei Palmiry, dem Massenexekutionsplatz der Nazis. Als Ministrant hilft der kleine Rysiek bei den Beerdigungen. „Wer das erlebt hat, trägt den Krieg für immer in sich“, sagte er.

Nun ist Ryszard Kapuściński gestorben. Drei Tage nach einer Operation setzte am Dienstag der Herzschlag des 74-Jährigen aus. Der Krieg hat sein Leben tatsächlich nie verlassen. Als Afrika-Reporter der Polnischen Presseagentur (PAP) berichtete er über Kriege und Machtkämpfe. Er erlebte über 30 Staatsstreiche, Umstürze und Revolutionen. Er kannte Ägyptens Staatschef Gamal Abdel Nasser, den ugandischen Diktator Idi Amin und den Revolutionsführer Che Guevara. Als „Reisender durch die Weltgeschichte“ überstand er Malaria, Typhus und TBC. Viermal stand er vor einer Hinrichtung.

Der sich stets im Hintergrund haltende Kapuściński redete nicht gern über sich. Er interessierte sich für andere Menschen und konnte wunderbar zuhören. Das war eines seiner Arbeitsgeheimnisse. Berühmt wurde er 1983, als sein Buch über den Sturz des äthiopischen Herrschers Haile Selassie in den USA erschien. Die literarisch brillante Studie über den Missbrauch der Macht wurde in über 30 Sprachen übersetzt – ins Deutsche unter dem Titel „König der Könige. Eine Parabel der Macht“.

Aufmerksam verfolgte Kapuściński das Weltgeschehen bis zuletzt. „Wir steuern auf keinen ‚Krieg der Kulturen‘ zu“, sagte der mit Preisen überschüttete Kapuściński. Es drohe auch kein Krieg der Armen gegen die Reichen. Gefährlich sei etwas anderes: „Wir führen Kriege gegen die anderen, weil wir sie nicht kennen. Wir interessieren uns nur für uns selbst. Was die anderen denken und fühlen, ist uns egal. Ob im Irak oder wo auch immer. Das ist die Gefahr der Zukunft.“ Dieser Gefahr muss man nun ohne den großen Menschenkennenlerner begegnen. GABRIELE LESSER