Ein schriller Pfeifton im Konzert

Heute vor 30 Jahren erschien die erste Ausgabe der Frauenzeitschrift „Emma“. Seither präsentiert sich ihre Herausgeberin Alice Schwarzer als Vorzeigefeministin. Wie wichtig ist sie noch? Drei Generationen antworten

Ich kannte Emma schon vor ihrer Geburt. Alice Schwarzer kam in den Sozialistischen Frauenbund Westberlin und versuchte uns für ihre aus Frankreich importierte Idee zu gewinnen, eine Selbstanzeige – „Ich habe abgetrieben“ – zu machen. Sie würde darüber einen Bericht im Stern schreiben, die Zusicherung für den Report über das Ereignis hatte sie schon, bevor es da war. Der Artikel würde eine Unmasse von Anzeigen nach sich ziehen, sodass die Justiz alles niederschlagen müsse. Gefahrlos also für uns. Wir haben es nach langem Zögern getan. Schwarzer bekam die Titelgeschichte im Stern samt Honorar, unsere Fotos waren auf der Titelseite, und sie behielt Recht, was die Folgen anging.

Die Geschichte ist ein Lehrstück über Schwarzers Journalismus und so über Emma. Ein Ereignis (Event) wird hervorgerufen – natürlich braucht es dafür Akteurinnen, die zum geeigneten verkaufbaren Material gemacht werden, was der Autorin Geld und Ruhm einbringt, Karriere vor allem. Das ist die Strickart von Emma, die darum immer ein Schwarzer-Produkt geblieben ist, keine Zeitschrift einer Frauengruppe für Frauen. Aber dies ist nur die eine Seite. Auf der anderen funktioniert dieser Eventjournalismus auch nur, wenn reale Probleme von Frauen aufgenommen werden, Brennpunkte, die das Zeug in sich haben, zu Massenprotesten zu führen. Dafür braucht es journalistischen Instinkt und Kontakte, die die Macht verleihen, etwas publik zu machen. Die Effekte müssen tatsächlich für die benutzten Frauen erfahrbar werden als gewollt und nützlich. In dieser Weise hat Emma in allem, was angepackt wurde, der Emanzipation der Frauen auch genützt. Lehrreich bleibt die Gründung der Zeitschrift. Es war die Zeit nach der Abtreibungsanzeige und Schwarzer schon, journalistisch gesprochen, selbst ein „Event“. Für die Gründungsverkündung erhielt sie alle kommerziellen Sprachrohre, die Illustrierten, die Tageszeitungen, das Fernsehen. Die Verlautbarung hatte den notwendigen Ton des siegreich verfolgten Opfers. Weil, so schrie sie, sie keine Stimme habe nirgends, Frauen eben nicht gehört würden, müsse sie diese schon vorab marginalisierte Zeitung machen. Emma eben. Die Startauflage war 200.000.

Im Scheinwerferlicht wurde Emma geboren und erdrückte fast sogleich alles, was sich vielfältig in der Bewegung regte. Courage hatte es schon zu einer Auflage von 80.000 gebracht und erstickte im Schwesternstreit. Die vielen kleinen Zeitschriften der Bewegung, wer wollte sie noch, da Emma auf dem Markt war und Teilhabe versprach an großer Öffentlichkeit? Emma verkörperte das Selbstbewusstsein, für alle zu sprechen. Der Stil war ein permanentes Kriegsgeschrei. Die kommerziellen Medien unterstützten den Anspruch, dass dies der eigentliche Feminismus sei, wohlwollend, schließlich kratzte er niemals an den gesellschaftlichen Strukturen. So war es nicht von ungefähr, dass der Staat ihr das Bundesverdienstkreuz verlieh. Tatsächlich gilt den Nachgeborenen, also allen, die nicht in der Frauenbewegung waren, Emma als der Feminismus im Guten wie im Bösen. Aber das eigentliche Problem dabei ist nicht Emma, auch nicht Alice Schwarzer, das Problem ist eine Struktur von Öffentlichkeit, die eine Reproduktion von Macht so betreibt, dass die bunte Vielfalt der Versuche, sich selbst zu emanzipieren und dabei die gesellschaftlichen Bedingungen so zu verändern, dass die eigene wie die Emanzipation aller überhaupt möglich ist, aufgesogen wird in einen Kurs, der die Reproduktion des alten Patriarchats sichert. In dieser Verschlingung ist die feministische Stimme einverleibt als Pfeifton, der im Konzert mithalten darf. FRIGGA HAUG

Frigga Haug, 70, war bis 2001 Professorin für Soziologie an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik und u. a. Mitglied im Sozialistischen Frauenbund Westberlin