Kein Drama um den König

Erst Gabriele Pauli, dann Edmund Stoiber und jetzt Horst Seehofer: Die CSU beschäftigt mit ihren Personalkrisen seit Monaten die Medien. Liegt das wirklich an der perfekten Inszenierung von Politik?

VON MAX HÄGLER

In Deutschland gelten – seit der Ära von Currywurst-Schröder und den damals beginnenden TV-Duellen – die Regeln der Mediokratie, so die Mehrheitsmeinung der Politikwissenschaft. Akademisch definiert, etwa nach Thomas Meyer, heißt das: „Professionelle Selbstmediatisierung der Politik nach den Regeln theatralischer Inszenierungslogik ist qualitativ und quantitativ zu einer der Hauptaktivitäten des politischen Systems geworden.“

Nicht mehr das Parlament, sondern TV-Runden stellen die Bühne, Spindoctors, Generalsekretäre und Berater fungieren als Choreografen, Journalisten als Publikum – und die Politiker? „Die kapseln sie sich in 1- bis 2-Zimmer-Apartments aus Gussbeton von der Wirklichkeit ab, schuften 80 bis 100 Stunden, ihr Bezug zur Welt sind Pressespiegel und Agenturmeldungen, die sie durchforsten, um zu schauen, ob sie erwähnt werden und es sie also gibt“, so der Journalist Hans Leyendecker. Dazu kommt: Die Betrachtung der Politik verläuft in der Mediokratie zugespitzt auf die Regierenden und kantige Oppositionspolitiker. Eine Personalisierung, die einhergeht mit Entparlamentarisierung. Und für die Parteien, die hinter den Menschen und Fraktionen stehen, interessiert sich kaum noch jemand – ist doch der Weg etwa von einem Grundsatzprogramm bis zu einem gesellschaftsverändernden Gesetz gar so lang.

Was sich seit Wochen in Bayern abspielt, könnte man bei schneller Betrachtung als Bestätigung der düsteren Mediokratietheorie sehen, als Beleg für Inszenierung und Personalisierung – das Stück von der schönen Landrätin und dem sturen König. In Wahrheit hat die CSU gezeigt, dass ein Kampf um Macht nicht immer einer Choreografie folgt und dass die eigentlich abgeschriebenen Institutionen Partei und Parlament durchaus noch Bedeutung haben.

Es beginnt am Abend des 19. Dezember. Alles läuft im üblichen weiß-blauen Swing. Die Landtagspresse ist von der CSU-Fraktion ins Spatenhaus an der Oper geladen, Chef Joachim Herrmann hält eine launige Weihnachtsrede, über die Landrätin Pauli wird ein wenig gesprochen, sie hatte sich am Vortag beklagt, dass ihr die Staatskanzlei hinterhertelefoniere. Keine ganz große Geschichte – überregional war die fränkische Kommunalpolitikerin Pauli bis dahin nur durch ein taz-Interview im November bekannt gewesen. „Mit Stoiber geht es nicht mehr“, hatte sie damals gesagt, um ihr Anti-Stoiber-Internet-Forum zu rechtfertigten. Doch unversehens ändert sich die Lage. Der Hirschbraten mit böhmischen Knödeln ist noch gar nicht serviert, als der Verkäufer mit der Frühausgabe der Abendzeitung ins Lokal kommt. Der Aufmacher: „Sex, Alkohol und Staatskanzlei – Schöne Landrätin: So wurde ich bespitzelt“. Der Austräger macht das Geschäft seines Lebens, auf jedem Tisch wird geblättert, getuschelt – erstmals gibt es Andeutungen, es könnte an der Geschichte etwas dran sein. Für CSU-Fraktionschef Herrmann ist der Abend gelaufen – für die Politikjournalisten beginnt eine muntere Zeit.

Ab Mittwoch recherchieren sie auf Hochtouren. Schnell fällt der Name von Stoibers Büroleiter Höhenberger. Die Bayerische Staatskanzlei wiegelt ab, verschickt eine Mitteilung, in der festgestellt wird, dass die Behauptungen von Pauli „widerlegt“ sind. Am Freitag vor Weihnachten um 11.48 Uhr jedoch meldet die Staatskanzlei: „Büroleiter Höhenberger bittet um Entbindung seiner Aufgaben“ – am Abend ist die Sache Hauptthema der „Tagesschau“. Was folgt, ist bekannt: Pauli in Bild am Sonntag vor dem Weihnachtsbaum und ein beleidigter Ministerpräsident, der seinen offiziell abgestellten Büroleiter vorerst doch wieder in die Kabinettssitzung mitnimmt. Was zählen schon die öffentliche Meinung und die von Fraktion und Parlament, wenn man der Chef ist. Es ist das Gegenteil einer geschickten Inszenierung, eines mediengeleiteten Politikstils.

Dabei kratzen in diesen Tagen Dutzende Bleistifte ungeduldig auf den Notizblöcken – die Stoiber-Geschichte soll schließlich weitergehen. Doch nachdem alle oppositionellen CSU-Hinterbänkler abgefragt sind, scheint Ruhe einzukehren. Revolte gibt es keine, aber auch keinen Plan. Dafür immerhin einen, der sich dem normalen Spiel der Medien fügt: Zwischen den Tagen setzt sich der Fraktionschef Joachim Herrmann in Szene und präsentiert sich der Bundespresse als mittelfristiger Ministerpräsidentenkandidat in Bayern.

In Kreuth, beim ersten Treffen der Bundes-CSUler aus Berlin, verhalten sich alle ruhig. Solidarität für Stoiber. Bis eine Journalistin bei der Pressekonferenz den angereisten Tory-Politiker und möglichen neuen UK-Premier James Cameron fragt, was er denn so von halben Amtszeiten halte. Cameron hat Blair im Blick und redet vom „Lame duck“-Prinzip. Die Journalisten haben Stoiber im Blick, und der sagt – in die Bredouille geratend und ohne Beratungsmöglichkeit –, dass er natürlich kein Mann für halben Sachen sei. Die Übersetzung, die in den Medien läuft: „Ich bleibe König von Bayern bis 2013.“ Die Partei und die Abgeordneten sind in Rage. Welche Hybris treibt Stoiber zu solchem Wahnsinn? Die Ruhe ist vorbei.

Ein neuer Plan muss her für den CSU-Chef, die Linien müssen begradigt werden. Pauli, die sich weiterhin als Katalysator eines schweigsamen CSU-Teils durch die Medien reichen lässt, wird zum Händeschütteln in die Residenz nachgeladen. Der Neujahrsempfang – die bayerische Selbstinszenierung par excellence, ein Paradebeispiel der Mediokratie. Bisher hat es immer gut geklappt, aber diesmal nicht. Im Kaisersaal wird kräftig getuschelt, bei Häppchen und fränkischem Weißwein redet das Kabinett über die „größte Krise“ überhaupt – Stoiber kriegt nicht mit, dass die Show nach hinten losgeht. Die Selbstwahrnehmung trügt zu sehr.

Am Tag danach, kurz vor dem zweiten Kreuther Treffen, dem der Landes-CSUler, brechen die Dämme. Sogar der loyale Abgeordnete Marcel Huber meinte im Gespräch mit der taz: „Die Frage ist nicht mehr, ob Stoiber geht, sondern wann er geht.“ Jetzt ist die Zeit der Landesparlamentarier gekommen, die die letzten 14 Jahre brav nahezu jede Gesetzesinitative der Stoiber’schen Regierung durchgewinkt haben. Auch Stoiber bemerkt den Gegenwind und plant – diesmal den geordneten, aufrechten Rückzug. Wenigstens der soll ordentlich inszeniert sein. Tief unten im Kreuther Keller sitzt der Fraktionsvorstand zusammen, dessen Beschluss die Lage beruhigen soll. Die Leibwächter müssen draußen bleiben und die Handys ausgeschaltet. Doch wieder läuft die geplante Show aus dem Ruder. Stoibers Gehilfen – Topjuristen, wohl weitgehend ohne emotionale Intelligenz – haben allzu voreilig den wartenden Journalisten das Briefing gegeben: 2008 will er abtreten, den Weg frei machen. Fraktionschef Herrmann bekommt die flugs verfassten Agenturmeldungen hineingereicht, liest sie fassungslos einem – wie es heißt – beschämt dreinblickenden Stoiber vor: Er hatte den Plan im Fraktionsvorstand noch gar nicht vermeldet.

Die Abgeordneten schütteln den Kopf ob solcher Spielchen und geben Stoiber in 70 Wortmeldungen Kontra. „Bis 2013? Unmöglich!“ So das Credo. Danach läuft der Medienapparat der Aktionseinheit „Bayern“ völlig auseinander. Eigentlich will Stoiber danach gemeinsam mit dem Fraktionschef vor die Presse treten. Die Berater sagen: Nein. Also mag Stoiber schließlich ebenfalls nicht mehr. Chaos statt Choreografie.

Abtritt völlig ungeordnet

In der Nacht auf Donnerstag, den letzten Kreuther Tag der Fraktion, besprechen sich die beiden ehemaligen Kontrahenten Erwin Huber und Günther Beckstein, schließen unerwartet Frieden. Noch in der Spätausgabe vermeldet die Abendzeitung, dass der eine Parteichef werden soll und der andere Ministerpräsident. Stoiber ist es nicht vergönnt, die Sache selbst mitzuteilen. Am Nachmittag, bei einer eilends einberufenen Pressekonferenz kann er die Nachricht nur noch bestätigen. Er tritt ab, völlig ungeordnet und überlässt spätestens ab September Beckstein das Feld. Ein Gewinn für das Parlament, glauben viele Abgeordnete. Vielleicht darf unter ihm der Landtag wieder eigene Gesetze einbringen, so die Hoffnung.

Bleibt der Kampf um die Parteiführung, der gestern in eine neue Runde ging. Scheitert der Plan von den Schlawinern Beckstein/Huber und kann sich Horst Seehofer durchsetzen, der Linksaußen, der gleichzeitig Nationaltümelei nicht scheut, dann wäre das eine selten gekannte Binnendemokratie in der CSU. Käme es schließlich zu einer Kampfentscheidung auf dem Parteitag, wäre das eine Revolution in einer Partei, deren Mitglieder obrigkeitshörig sind wie kaum andere Politiker.