Geschichte der Hamas
: Israel soll nicht zerstört werden

Der Wahlsieg der „Hamas“ in Palästina beschert uns im Westen einen kleinen Boom von Büchern. Nach Büchern von Helga Baumgarten und Matthew A. Levitt erscheint nun ein Band des Palästinensers Khaled Hroub, des Direktors des Arab Media Project an der Universität von Cambridge.

Bereits 2000 hat Hroub eine Studie über das politische Denken und die Praxis der Hamas geschrieben – er vermeidet dabei den Begriff „Terrororganisation“. Die LeserInnen im Westen sind darüber irritiert, lesen sie doch täglich, dass die Hamas eine Terrororganisation sei. Liegt es an der Voreingenommenheit des Autors oder einfach an einem Wahrnehmungsdefizit der westlichen Medienöffentlichkeit, dass es zu einer solchen Diskrepanz kommt?

Die Hamas schreckt nicht vor Terroranschlägen auf Israel und seine Staatsbürger zurück. Diese Anschläge sind verbrecherisch, unmoralisch und durch nichts zu rechtfertigen. Warum problematisiert der Autor das nicht in dieser Eindeutigkeit? Er versucht, durch eine kluge Exegese dieser Frage auszuweichen. Eine seiner Begründungen: Der Radikalismus der Hamas sollte als Resultat des andauernden israelischen Kolonisierungsprojekts in Palästina gesehen werden. Außerdem sei die Hamas „eine natürliche Folge der unnatürlichen und brutalen Bedingungen der Besetzung“.

Hroub stellt die Hamas als eine überaus differenzierte Organisation dar. Er beschreibt ihre Entstehung, ihre Strategie, ihre Organisationsstruktur, ihre Rhetorik, ihr Verhältnis zum Judentum, zu Israel, zum Westen und zum internationalen Islamismus sowie ihre politischen Ziele.

Für Hroub hat die Hamas nichts mit der Organisation gemein, die sich die „Hamas Charta“ gegeben hat; er hält die Charta für „irrelevant“. Für ihn gibt es eine „neue Hamas“, die sich in ihren politischen Aussagen „niemals“ auf die Charta berufen habe. Das Wahl- und Regierungsprogramm sprächen eine andere Sprache. Warum reformiert dann die Hamas dieses Dokument nicht wie weiland Jassir Arafats PLO ihre Charta? Hält Hroub die „Hamas-Charta“ nicht für antisemitisch, antijüdisch, antiwestlich – und die „Zerstörung Israels“ für ihr letztes Ziel?

Hroub wendet ein, dass die Hamas tatsächlich dieses Ziel „niemals“ selbst in ihren radikalsten Aussagen erklärt habe. Der ultimative Slogan laute einfach „Befreiung Palästinas“.

Was durch diese „Befreiung“ aus Israel werden würde, wird von Hroub unter Berufung auf die „Rhetorik“ der „Hamas-Charta“ nicht beantwortet. Die „Widerstandsstrategie“ der Hamas sei nur auf Palästina beschränkt. Niemals habe die Organisation Anschläge auf westliche Personen durchgeführt – auch nicht in Palästina. Der „Dschihad“ der Hamas richte sich gegen Israel als „eine fremde militärische Besatzungsmacht, die von zionistischen Juden“ geführt werde. Die politische Aussage von der „Zerstörung Israels“ schätzt der Autor als „bedeutungslos“ ein. Was würden dazu wohl die Israelis sagen?

Hroubs Buch steht in völligem Gegensatz zu dem, was im Westen über die Hamas gedacht, geglaubt und geschrieben wird. Eine Übersetzung ins Deutsche wäre lohnenswert, damit sich die politisch-publizistische Elite hier ein eigenes Urteil bilden kann. Wäre der Autor etwas kritischer und distanzierter mit seinem Untersuchungsgegenstand umgegangen, er hätte sicher mehr LeserInnen von seiner Sicht überzeugt.

LUDWIG WATZAL

Khaled Hroub: „Hamas. A Beginner’s Guide“. Pluto Press, London-Ann Arbor 2006, 170 Seiten, ca. 19 Euro