Pathos und starke Worte

Der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof hat sich schon im letzten Bundestagswahlkampf als Steuerexperte blamiert. Und nun knüpft sein neues Buch nahtlos an den Unsinn von 2005 an

Paul Kirchhof ist wieder da. Kaum ein Jahr nach seiner katastrophalen Bruchlandung als Schattenfinanzminister im Wahlkampfteam Angela Merkels hat sich der Jurist mit einem neuen Buch in der wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Debatte zurückgemeldet.

Und er wäre nicht Paul Kirchhof, wenn er dabei ohne Pathos und markige Sprüche auskommen könnte. Diesmal will er nicht nur die Steuern vereinfachen, sondern die Bürger gar vor einem vielköpfigen Ungeheuer, einer Hydra, retten: Durch den „unbestechlichen Blick des unabhängigen Wissenschaftlers“ (Klappentext) sollen den Bürgern die Augen geöffnet werden, damit sie sich selbst aus den Klauen des übermächtigen, wuchernden Staates befreien. Es gehe um nicht weniger als die „fundamentale Erneuerung unseres Landes“.

Zu einem solchen Auftritt gehört Mut. Hatte sich der „unabhängige Wissenschaftler“ doch im Bundestagswahlkampf 2005 selbst entzaubert. So wurde aus dem allseits respektierten Professor und ehemaligen Verfassungsrichter, dessen Steuervereinfachungsvisionen in nahezu allen politischen Lagern Resonanz fanden, schnell eine dubiose Figur.

Sozial gerecht und für den Staat ohne Einnahmenverluste sollte seine radikale Steuerreform vonstatten gehen. Doch leider kamen alle wissenschaftlichen Untersuchungen zu genau dem gegenteiligen Schluss. Und auch für die von ihm in die Welt gesetzte Zahl von angeblich 418 Steuervergünstigungen blieb er jeden Beweis schuldig. Am Ende verloren sogar Teile der konservativen Presse den Glauben an Kirchhofs Behauptungen. Die katastrophale Vorstellung des „Professors aus Heidelberg“ (Gerhard Schröder) war mitverantwortlich für das schlechte Abschneiden der Unionsparteien bei der Wahl.

In seinem neuen Werk setzt Kirchhof seine öffentliche Selbstdemontage munter fort. Weniger wie ein unabhängiger Wissenschaftler, sondern eher wie ein pseudoreligiöser Eiferer salbadert er von der Hydra daher. Dieses „alles verschlingende Ungeheuer“ verspreche „anstrengungsloses Einkommen“, „unermessliche Staatswohltat“ und auch sonst allerlei Maßlosigkeiten. Sie lauere in den Organen des Staates, den Verbänden, aber auch den Bürgern selbst. Sie „speie ein Gift, das die freiheitliche Demokratie in ihrer Substanz zersetzt“, infiziere den Bürger mit „staatsbürgerlicher Migräne“, strebe nach ungezähmter Herrschaft und führe in den Niedergang.

Etwas konkreter mündet das in die Behauptung, der Staat dehne die Staatsleistungen immer weiter aus und erhöhe ständig die Steuern. Hier scheint der „unbestechliche Blick des unabhängigen Wissenschaftlers“ wohl zu schielen. Wie schon im Wahlkampf ist das genaue Gegenteil von Kirchhofs Behauptungen wahr. Schon seit Jahren befinden sich die deutschen Staatsausgaben real auf Schrumpfkurs, und die Steuerquote ist in kurzer Zeit stark gesunken.

Einigen Anstoß bei nichtkonservativen Lesern wird Kirchhof zudem mit den meisten seiner politischen Vorschläge erregen: weiterer Rückbau des Staates, langfristig ein Verbot der Staatsverschuldung, zusätzliche Stimmrechte für Eltern bei Wahlen je nach Kinderzahl. Und natürlich hält er unbelehrbar an seinem Steuerkonzept fest. Da gehen die wenigen Lichtblicke, etwa seine kritische Einstellung zum internationalen Steuerwettbewerb, fast unter.

Zu allem Unglück ist das Buch auch noch schlecht geschrieben und über weite Strecken sterbenslangweilig. Die „Hydra“-Story wirkt künstlich und lediglich aufgesetzt. In den meisten Kapiteln spielt sie nur eine untergeordnete Rolle. Dafür müssen sich die Leser durch ellenlange rechtshistorische Ausführungen, gespickt mit Bandwurmsätzen und salbungsvollen Wortkaskaden, quälen. Stilbrüche sind häufig: In den Urteilsstil des ehemaligen Richters schleichen sich plötzlich persönliche Beobachtungen des Verfasser in der ersten Person Singular ein. Und jedes Kapitel beginnt allen Ernstes in Märchenform. Kirchhofs Buch ist eine einzige Zumutung. Man darf hoffen, dass sich der Autor damit endgültig für die politische Debatte disqualifiziert hat.

ACHIM TRUGER

Paul Kirchhof: „Das Gesetz der Hydra, Gebt den Bürgern ihren Staat zurück!“ Droemer Verlag, München 2006, 386 Seiten, 19,90 Euro