„Der Flaneur kehrt zurück“

Bald ist Schluss mit der Billigfliegerei, sagt der Verkehrsgeograf Heiner Monheim voraus

INTERVIEW HANNA GERSMANN

taz: Herr Monheim, schlechte Zeiten für Umweltbewusste: Man möchte in ferne Weltgegenden fahren, wäre da nicht das schlechte Gewissen. Raten Sie, auf dem Sofa zu bleiben?

Heiner Monheim: Im Gegenteil! Ich rate jedem, den Reiz der Nähe zu entdecken …

und nur noch die Oma zu besuchen?

Die meisten Deutschen haben doch die Hälfte des Landes noch gar nicht entdeckt. Westdeutsche kennen den Osten kaum, Ostdeutsche nicht den Westen.

Unter sanftem Reisen verstehen Sie vor allem innerdeutsches Reisen?

Ich verstehe darunter den Abschied von der Kilometerfresserei. Reisen ist am verträglichsten, wenn die eigenen Muskeln genutzt werden.

Wanderurlaub in der afrikanischen Wüste ist demnach okay?

Eher die Radtour an der Mosel. In der Wüste sind die Leute doch in der Regel mit dem Jeep unterwegs und nicht zu Fuß, mit dem Rad oder mit dem Kamel.

Ach, hinfliegen und aufs Kamel umsteigen ist für Sie kein Problem?

Doch natürlich. Fliegen ist der größte Umweltfrevel.

Wie sieht die ideale Reise also aus?

Interesse am Ziel zeigen. Zeit nehmen. Rucksacktouristen, die drei Monate unterwegs sind, bemühen sich zum Beispiel häufig, ökologisch verträglich zu reisen.

Das macht das Gros der Touristen aber anders.

Noch, doch die langsame Annäherung und der längere Aufenthalt kommen wieder in Mode. Der Wander- sowie der Fahrradtourismus wachsen in Deutschland jedes Jahr um bis zu 5 Prozent.

Derweil werden aber immer mehr Chinesen ins Flugzeug steigen?

Das chinesische Reiseverhalten ist gut untersucht. Chinesen reisen vor allem im Inland. Die meisten können sich weitere Strecken und das Fliegen gar nicht leisten. Und die Reicheren buchen nur einmal in ihrem Leben einen Flug nach den USA oder Europa. Sie besuchen zum Beispiel das Karl-Marx-Museum in Trier. Für kommunistische Chinesen ist das eine Art „Pilgerziel“.

Wie stark wird der weltweite Flugtourismus also zunehmen?

Er wird sich in den nächsten zehn Jahren noch mal verdoppeln.

Wann wird es das ökologisch korrekte Flugzeug geben?

Niemals. Die Flugindustrie versucht zwar, die Technik zu verbessern. Das bringt aber ihrem Image mehr als der Umwelt. Jeder Erfolg wird gleich wieder aufgefressen durch mehr Verkehr. Darum muss der Staat eingreifen. Fliegen muss wieder teurer werden.

Sie fordern einen Ökoaufschlag, damit weniger geflogen wird – wie hoch?

Die Ramsch-Flugpreise müssen mindestens vervierfacht werden. Nur mit 10 Euro mehr oder einer freiwilligen Klimaabgabe ist das nicht getan.

Fliegen nur noch für Reiche?

Das gilt doch immer: Teure Dinge können sich eher Reiche leisten. Es gibt keinen Grund dafür, dass der Staat das Fliegen für jedermann subventioniert. Auf Tickets für Auslandsflüge wird bislang keine Mehrwertsteuer erhoben, und Kerosin ist von der Mineralölsteuer befreit – ökonomischer und ökologischer Wahnsinn.

Viele entlegene Regionen leben einzig vom Tourismus. Wiegt ihre Entwicklung den Umweltschaden auf?

Das Geld bleibt doch gar nicht in der Region. Ausländische Investoren kassieren das meiste. Massentourismus ist parasitär. Vor Ort sichert er nur schlecht bezahlte einfache Jobs. Aber das geht nicht immer so weiter.

Was meinen Sie?

Langfristig wird Reisen teurer, weil auch in Billiglohnländern die Gehälter steigen.

Es wird andere Billigziele geben.

Dieses Ex-und-hopp hilft nichts. Länder verschwinden schnell wieder aus den Reisekatalogen. Jugoslawien zum Beispiel war mal sehr beliebt. Dann kam der Krieg. Keiner fuhr mehr hin. Der Tourismus in Kroatien und Slowenien berappelt sich zwar langsam wieder. Die Risiken des Reisens werden aber weltweit größer – durch Terror und Umweltdesaster.

Der Trend zum billigen Flug hält nicht an?

Die Billiganbieter können ihre Kampfpreise nicht durchhalten. Und irgendwann werden auch die Provinzfürsten aufhören, überall Steuermittel in Regionalflughäfen zu verbauen.

Wann ist irgendwann?

2050 wird Fliegen kein Massenphänomen mehr sein. Der Billigflug wird sich als Petitesse in der Mobilitätsentwicklung der Menschheit erweisen.

Stützen Sie sich auf Studien?

Die Physik der Erdatmosphäre wird das erzwingen. Der Globus lässt sich das Fliegen – den größten Klimasünder – nicht ewig gefallen. Wir werden die Fliegerei begrenzen müssen.

Sie setzen auf die Katastrophe oder auf die Einsicht?

Den Typ Reisenden, der dauernd zum Vergnügen durch die Welt düst, gibt es nicht oft. Auch Vielflieger entdecken eines Tages wieder die Nähe. Das zeigen Beobachtungen des Reiseverhaltens von Familien über die letzten 30 Jahre hinweg. Das können Sie genauso gut auf Gesellschaften übertragen.

Dann fahren wir in Zukunft mehr Auto, Bahn oder gehen schlicht wieder zu Fuß?

Wir werden weltweit eine Renaissance der Bahnen erleben. Die Straßenbahn kommt in die Städte zurück. Die Eisenbahn im regionalen, nationalen und internationalen Verkehr. Und der entspannte Flaneur wird wieder zu unserem Alltag gehören.

Geben Sie uns bis dahin eine einfache Regel für korrektes Reisen?

Sie müssen zumindest mal erkennen, wie absurd es ist, fünfmal im Jahr billig zu fliegen. Kultivieren Sie aus dem Fernweh die Lust auf das Naheliegende. Das macht Spaß – und ist keineswegs provinziell.

HANNA GERSMANN ist Redakteurin in der taz-Wirtschaftsredaktion