Vor Wahlen entdeckt die Politik das Soziale

Reicht ein Euro für das Mittagessen eines Kindes? Reicht ein positiver Trend für eine gute Nachricht?

Obwohl die kommunale Politik wenig Einfluss hat auf die Zahl der Arbeitslosen und der Sozialhilfeempfänger, schmücken sich PolitikerInnen gern mit guten Nachrichten aus diesem Bereich, insbesondere in Wahlkampfzeiten.

„Die Arbeitslosigkeit sinkt deutlich und sogar schneller als in allen anderen Bundesländern“, verkündete Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) unlängst per Postwurf an alle Haushalte. Paul Schröder, Experte vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe e. V., hat nachgerechnet. Sein Fazit: Böhrnsens Werbetexter haben auf einer falschen statistischen Basis gerechnet. Nimmt man die korrekten Zahlen, zeigt sich: Die Quote ist zwar gesunken, aber weniger als im Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer. Der Abstand Bremens zum Bundesdurchschnitt vergrößerte sich. Stimmt, antworteten die erwischten Rathaus-Fachleute, aber die Tendenz sei doch positiv …

Insbesondere Kinderarmut rückt in Wahlkampfzeiten in den Focus des Interesses. In Bremen lebten im letzten Jahr fast 30 Prozent der Kinder, in Bremerhaven fast 40 Prozent von Sozialgeld. „Damit darf sich niemand abfinden“, versicherte Böhrnsen in seiner Neujahrsansprache. „Wir müssen dafür sorgen, dass allen Kindern, unabhängig vom Geldbeutel und der sozialen Situation ihrer Eltern, gute Lebens- und Bildungschancen eröffnet werden. Die Kinder müssen spüren und erfahren, dass sie erwünscht sind.“

Die Grünen wollen sich in der kommenden Bürgerschaftssitzung dafür stark machen, dass die Arbeitslosengeld- und Sozialhilfe-Sätze den steigenden Energie- und Gesundheitskosten angepasst werden, auch die Mehrwertsteuererhöhung solle rückwirkend berücksichtigt werden. Für das Mittagessen eines Kindes müsse mehr als ein Euro anerkannt werden, die Mitgliedschaft in einem Sportverein solle als „Bedarf“ für Kinder anerkannt werden, fordern sie. Mal sehen, sagt Dirk Schmidtmann, sozialpolitischer Sprecher der Grünen, wie ernst die großen Bürgermeister-Worte gemeint waren. kawe