Wer zahlt, darf überleben

Patentklage des Pharmariesen Novartis bedroht medizinische Versorgung in Entwicklungsländern. Ärzte ohne Grenzen warnt vor Katastrophe

„Es geht um die Medikamenten-Versorgung von 90 Prozent der Armen“

VON TARIK AHMIA

2.000 US-Dollar im Jahr kostet ein hochwirksames Leukämie-Medikament, das jedes Jahr 24.000 Indern das Leben rettet. Für die gleiche Behandlung werden in Industriestaaten des Nordens 27.000 US-Dollar pro Patient verlangt. Das wäre ein Todesurteil für die meisten indischen Patienten – es könnte ihnen drohen, wenn der schweizerische Pharmakonzern Novartis mit seiner Klage gegen die indische Regierung Erfolg hat, die gestern vor dem High Court im indischen Chennai verhandelt wurde. Novartis will in dem Verfahren Patentschutz für seine Wirkstoffkombination in Indien durchsetzen, die es in Industrieländern für teures Geld unter dem Markennamen „Glivec“ verkauft.

Das indische Patentamt befand Glivec jedoch schon im vergangenen Jahr nicht für patentwürdig. „Glivec stellt nur eine geringfügige Weiterentwicklung eines bekannten Medikamentes dar“, urteilte die Behörde. Schutzrechte für Medikamente, deren Zusammensetzung nur leicht verändert wird, verbietet das indische Patentrecht. Damit trifft es einen ökonomischen Nerv der weltweiten Pharmaindustrie: Schätzungsweise 66 Prozent aller „neuen“ Medikamente sind lediglich veränderte Mixturen bekannter Arzneien, auf die langjährige Patente gewährt werden. Wirklich neue Wirkstoffe sind in der Medikamentenentwicklung selten.

Deshalb will Novartis mit seiner Klage nun diesen Passus im indischen Patentrecht zu Fall bringen. „Wir wollen Klarheit, wie Indien zu geistigen Eigentumsrechten steht“, sagte John Gilardi von Novartis gestern der taz. „40 Länder erkennen unser Glivec-Patent bereits an.“

Die indische Position verstoße nach Ansicht von Novartis gegen die internationalen Vereinbarungen zum Schutz des geistigen Eigentums. „Jedes Land darf gemäß der WTO-Vereinbarungen seine Gesetze so auslegen, dass der Zugang zu Medikamenten sichergestellt ist“, hält Corinna Heineke von der Entwicklungsorganisation Oxfam dagegen.

„Wir laufen in die Katastrophe, wenn Novartis mit seiner Klage Erfolg hat“, warnte Tobias Luppe von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. „Es geht nicht nur um Glivec, es geht um die Medikamentenversorgung von 90 Prozent der Armen“, sagte Luppe.

Sollte Novartis Patentrechte auch auf geringfügig veränderte Medikamente zugesprochen bekommen, wäre dies ein schwerer Schlag für die Versorgung von Millionen Menschen in Entwicklungsländern mit preiswerten Nachahmermedikamenten. „Siegt Novartis vor Gericht, dann sind wir bald ‚Ärzte ohne Medikamente‘ “, sagte Luppe.

Indien gilt heute als die „Apotheke der Armen“, den hier werden fast 70 Prozent der wirkstoffgleichen Kopien gegen Krebs und Aids für ärmere Länder hergestellt. Dank Generika haben Aids-Patienten dort überhaupt Aussicht auf eine medizinische Behandlung. Waren für die Behandlung eines Aids-Patienten im Jahr 2001 noch 10.000 US-Dollar im Jahr nötig, so kostet die gleiche Behandlung dank Generika nur noch 130 US-Dollar. Das ist ein Preisverfall von 99 Prozent.

Auch Bundesentwicklungsministerim Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) forderte Novartis auf, die Klage zurückzunehmen: „Novartis sollte seine unternehmerische Verantwortung weltweit wahrnehmen, um Menschenleben zu schützen“, sagte sie.