Land macht Auge auf

Wer sich nicht meldet, ist verdächtig: Die Landesregierung will künftig überprüfen, welche Eltern ihre Kleinkinder vom Arzt untersuchen lassen. So sollen Misshandlungen früher erkannt werden

VON NATALIE WIESMANN

Mit einem Elternleitfaden und einer verbindlichen Untersuchung beim Kinderarzt will die NRW-Landesregierung gegen Kindesmisshandlung vorgehen. Gestern beschloss die schwarz-gelbe Landesregierung in ihrem neuen Gesetzentwurf außerdem, bereits vorhandene Frühwarnsysteme auszuweiten.

Im Streit um die Pflichtuntersuchungen bei Kindern, gegen die sich unter anderem Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) strikt wendet, geht das Land NRW jetzt einen Mittelweg. „Wir führen eine positive Meldepflicht für Kinderärzte ein“, sagt Barbara Löcherbach, Sprecherin des Integrationsministeriums. Die Ärzte sollen die Namen der Eltern ans Jugendamt weiterleiten, die freiwillig einer Einladung zur medizinischen Untersuchung folgen.

Für diese indirekte Form der Kontrolle hatte sich der Verband der Kinder- und Jugendärzte eingesetzt. „Wir sind froh, dass der Gesetzgeber unserem Rat gefolgt ist“, sagt ihr Landesvorsitzender Thomas Fischbach. Diese „Positivlisten“ könnten die Mitarbeiter des Jugendamts mit den Neugeborenen-Listen der Einwohnerämter vergleichen. Wie die Sanktionen für Verweigerer aussehen könnten, war bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt.

Als Vorbild für NRW dient das Saarland. Anfang Februar soll dort ein Gesetz verabschiedet werden, nach dem die Daten der Teilnehmer und Verweigerer bei einer Screeningstelle an der Universitätsklinik Homburg abgeglichen werden. Eltern, die mit ihren dreimonatigen Kindern nicht beim Kinderarzt waren, werden per Brief ermahnt. Wenn sie nicht reagieren, statten die MitarbeiterInnen des Gesundheitsamtes den Eltern einen Besuch ab. „Erst wenn sie nicht reingelassen werden, schalten wir das Jugendamt ein“, sagt ein Sprecher des saarländischen Gesundheitsministeriums. Die Amtsärzte erweckten mehr Vertrauen als die Mitarbeiter des Jugendamts. „Die haben kein gutes Image.“

Damit Kinder nicht misshandelt werden oder verhungern, will die NRW-Regierung außerdem die sozialen Frühwarnsysteme ausbauen, die schon als Modellprojekte in verschiedenen Städten laufen. „Wir wollen mehr Geld investieren“, sagt Löcherbach. Zum Beispiel in PatInnen, die überforderten Eltern zur Seite stehen, Eltern-Kind-Kurse oder Hebammen, die extra geschult werden. Für Besuche nach der Geburt, wie sie in Dormagen oder Gelsenkirchen praktiziert werden, will die Landesregierung einen Elternleitfaden zusammenstellen.

Die Stadt Gelsenkirchen investiert in die Begrüßungsbesuche etwa 500.000 Euro jährlich. Sechs Sozialarbeiter des Jugendamts besuchen Familien mit Erstgeborenen in den ersten zwei Monaten nach der Geburt. Dazu gibt es ein kleines Geschenk. „Ein Schlabberlätzchen von Schalke etwa oder Adressen von Anlaufstellen“, sagt Alfons Wissmann, Leiter des Jugendamts in Gelsenkirchen. Eine Idee, die in NRW Schule machen soll.