„So ’n Film ist ein Sechser im Lotto“

Morgen startet „Vier Minuten“, der neue Film von Chris Kraus („Scherbentanz“). Hannah Herzsprung gibt darin ihr Leinwanddebüt als musikalische Mörderin. Ein Gespräch über Klavierspielen und Balletttanzen, ihren Vater und ihre Freunde, Studieren und Probieren

INTERVIEW DAVID DENK

taz: Frau Herzsprung, im Presseheft zu Ihrem Kinodebüt „Vier Minuten“ steht, dass Sie beim Vorsprechen vorgegeben haben, Klavier spielen zu können, um an die Rolle zu kommen – klingt nach einer dieser Schauspieler-Legenden.

Hannah Herzsprung: Stimmt aber wirklich. Weil ich die Rolle unbedingt haben wollte. Und Chris …

der Regisseur Chris Kraus …

… der wollte unbedingt jemanden, der das kann. Im Nachhinein kann ich das total nachvollziehen, denn wenn ich die fünf Monate Üben nicht gehabt hätte, hätte man mir die Rolle nicht abgenommen.

Sie haben also tatsächlich Klavierspielen gelernt?

Leider nicht wirklich. Weil ich keine Noten lesen kann, habe ich die Stücke, die ich im Film spiele, auswendig gelernt. Das habe ich mittlerweile aber alles wieder vergessen.

Ist das nicht unheimlich schade?

Frustrierend ist das. Richtig schlimm wurde es aber erst, als ich einige Zeit nach den Dreharbeiten auf das Angebot meiner Klavierlehrerin für „Vier Minuten“ zurückgekommen bin, mir weiter Unterricht zu geben. Ich musste wieder bei null anfangen. Statt der A-Dur-Sonate von Mozart, die ich auswendig spielen konnte, was ein großartiges Gefühl war, sollte ich plötzlich Hänschen Klein nach Noten spielen – und konnte es nicht. Deswegen habe ich immer versucht, nach Gehör zu spielen. Nachdem ich Mozart vergessen hatte, wollte ich wenigstens Hänschen Klein gut spielen können. Gerade als ich beschlossen hatte, mich durchzubeißen, hatte ich wegen einer neuen, wieder sehr intensiven Rolle keine Zeit mehr zum Üben und habe aufgehört.

Sie wirken sehr ehrgeizig.

Ich finde Ehrgeiz großartig. Ehrgeiz ist mein Antrieb. Wie ein Motor, der es schafft, dass man weitermacht und damit auch weiterkommt.

Warum hat Ehrgeiz dann ein zwiespältiges Image?

Weil Ehrgeiz leider häufig mit Verbissenheit, Egoismus und Skrupellosigkeit gleichgesetzt wird.

Stimmt es, dass Sie sehr lange Ballettunterricht genommen haben?

Ja, 17 Jahre lang. Das fehlt mir total, ich habe aber einfach keine Zeit mehr für ein regelmäßiges Training.

Spätestens seit der Fernsehserie „Anna“ weiß man, dass das nicht gerade ein Sonntagsspaziergang ist.

Stimmt. Das war hart, aber die Lust ist geblieben, weil wir einmal im Jahr eine Ballettaufführung hatten. Sich darauf vorzubereiten und dann den Tag der Aufführung zu erleben, das hat so viel Spaß gemacht, dass man wieder voll motiviert war.

Fehlt einem nicht manchmal der Biss, auch Dinge durchzuziehen, die einem nicht in den Schoß fallen?

Warum so negativ? Ich glaube, das nennt man Berufung. Wenn man seine Berufung findet und ihr nachgeht – das ist doch großartig. Jeder Mensch trägt einen Wunsch in sich, eine Leidenschaft, mit der er aufwächst – und ich finde es ganz wichtig, dass man das lebt. Oder es zumindest versucht – egal wie unrealistisch es scheint.

Sie wollten also schon als Kind Schauspielerin werden?

Als ich klein war, wurde bei uns im Haus mal ein Film gedreht. Da hat ein Mädchen in meinem Alter mitgespielt, der habe ich die ganze Zeit zugeguckt und mir gedacht: Großartig! Das will ich auch!

Wie alt waren Sie da?

Ungefähr zehn.

Ihr Vater spielte dabei keine Rolle?

Der Papi war wahnsinnig viel unterwegs. Und wenn wir uns am Wochenende gesehen haben, hat seine Arbeit keine Rolle gespielt. Ich hab das einfach nicht so verfolgt. Auch weil ich als Kind „Soko 5113“ zum Beispiel ja gar nicht gucken durfte.

Seltsam, dass Sie dennoch wie von Geisterhand in die gleiche Richtung gesteuert sind, oder?

Ich bin sehr stolz darauf, seine Gene zu haben. Und find’s sehr schön, in meinem Vater eine so enge Kontaktperson zu haben, mit der ich ehrlich über meinen Beruf reden kann – wenn ich das brauche. Er kann sich aber auch sehr gut zurücknehmen, was ich sehr angenehm finde.

Ist Ihr Vater mit Ihrer Berufswahl im Reinen – das ist ja nicht unbedingt selbstverständlich?

Der Papi hat mir neulich ein Post-It geschrieben, das er mir mit den Uni-Unterlagen geschickt hat. Darauf stand: „Du kannst reinen Gewissens sagen, dass du für diese unglaubliche Chance dein Studium unterbrochen hast (und es aber noch zu Ende bringst).“ Mein Vater ist darin wirklich Vater. Er möchte, dass ich eine vernünftige Ausbildung habe. Ich bin überhaupt nicht so ’n Schauspieler-Kind.

Hat er den Film schon gesehen?

Na klar. Als „Vier Minuten“ auf dem Filmfestival in Hof lief, habe ich die ganze Familie eingepackt. Es war mir sehr wichtig, dass sie dabei sind.

Und: Was hat Ihr Vater gesagt?

Er kam ganz zum Schluss zu mir, hat mich in den Arm genommen und gesagt, dass er den höchsten Respekt vor mir hat, diese Rolle gespielt zu haben, und dass er mir das Diplom für Schauspielerei ausstellt.

Schön.

Und vor allem ernst gemeint.

Was sagt er denn, wenn ihm etwas nicht so gut gefallen hat?

Meistens nehme ich die negativen Aspekte vorweg. Er versteht, dass ich selbstkritisch bin, und findet das gut, weil er sagt, Selbstkritik ist wichtig, um weiterzumachen, weiterzukommen. Man kann eben nicht alles gut machen.

Liest Ihr Vater die taz?

Ich weiß es nicht.

Gut. Gehen wir mal davon aus, dass er dies hier nicht liest. Sie können also ehrlich sein: Glauben Sie dran, dass Sie Ihr Studium noch fertig machen?

Ja. Ich würde es sehr gern noch zu Ende machen, weil ich alle Dinge, die ich anfange, zu einem Abschluss bringen muss. Ich kann’s auch nicht ertragen, wenn eine unausgepackte Tasche nach einer Reise bei mir im Zimmer rumsteht. Ich MUSS die sofort auspacken. Das Schwierige ist, Studium und Spielen zu vereinbaren. Ich kann mich schlecht auf zwei Dinge gleichzeitig konzentrieren, kann also beispielsweise nicht am Set lernen. Wenn ich arbeite, gibt es für mich nichts als den Dreh. Ich bewundere Leute sehr, die ihr Studium zügig durchziehen und die ganze Zeit nebenbei noch arbeiten.

Was ist das für ein Gefühl, dass Ihre Freunde allmählich Ihr Studium beenden?

Meine beste Freundin aus Wien hat mir neulich eine SMS geschrieben: Hannah, ich hab ’ne 1,0 in der Diplomarbeit. Dann sitzt du da und freust dich. Das ist wirklich großartig. Natürlich denke ich dann, dass ich jetzt auch fertig sein könnte; dann hätte ich allerdings diese großartigen Filme nicht drehen können. Und so ’n Film – das ist einfach ein Sechser im Lotto. Es gibt so viele großartige Schauspieler in meinem Alter, die mehr Erfahrung haben als ich. Es wäre für einen Regisseur sicher leichter, die zu besetzen, weil er weiß, dass die gut ankommen. Stattdessen hatte Chris den Mut, einen kompletten Kino-Neuling zu besetzen.

Spüren Sie manchmal eine Geringschätzung gegenüber Fernsehschauspielern?

Das soll mir mal jemand erklären, ich versteh das nicht. Ich hätte nie gedacht, dass das in der Branche so kritisch und distanziert betrachtet wird. Ich bereue wirklich gar nichts, was ich bis jetzt gedreht habe, weil mich alles weitergebracht hat auf meinem Weg.

Ist es nicht schwierig, Ihren Freunden zu vermitteln, was Sie machen? Spüren Sie manchmal vielleicht sogar Neid?

Ich finde es schwierig, die Wörter „Neid“ und „Missgunst“ zu benutzen, weil die, wenn man sie benutzt, auf einen selber so ein komisches Licht werfen. Das auszusprechen, finde ich ganz schrecklich – obwohl’s manchmal ganz offensichtlich so ist. Ich glaube, das gibt’s aber in allen Berufen. Ich rede auch nicht so viel über meinen Job.

Würden Sie manchmal gern mehr erzählen, trauen sich aber nicht?

Ja, das stimmt. Deswegen ist es sehr angenehm, hier in Berlin Freunde gefunden zu haben, die auch Schauspieler sind, und sich mit ihnen auszutauschen.

Deswegen bleiben viele Promis wohl unter sich.

Andererseits ist es aber, weil man sich so viel mit dem Beruf beschäftigt, auch schön, in meinen anderen Freundeskreis einzutauchen, der sich nicht dafür interessiert, und über andere Dinge zu reden. Mein Leben besteht ja nicht nur aus Film. Ich hoffe zwar, nie feststellen zu müssen, dass ich in diesem Beruf keine Zukunft habe, aber wenn es so sein sollte, werde ich es akzeptieren und mich anderweitig orientieren.

Was ist Ihr Plan B?

Weiß ich nicht. Im Moment möchte ich einfach nur spielen. Tolle Rollen kennen lernen.

Nur im Film?

Nein, sehr gern auch am Theater. Ich fänd’s großartig, wenn mir jemand ohne klassische Ausbildung die Chance geben würde, Theater zu spielen. Ich nehme seit zehn Jahren Schauspielunterricht, mache viele Seminare und Sprecherziehung. Ich arbeite sehr an mir.

Wenn man mal nicht so gut war, kann man’s am Theater bei der nächsten Aufführung wieder rausreißen, beim Film nicht.

Da vertraue ich den Regisseuren total. Die sitzen beim Schnitt und suchen die schönste Szene raus. Man muss sich selbst vergessen und darf nicht eitel sein. Es geht nicht um Hannah, es geht um die Rolle.

Wenn der Regisseur zufrieden ist, muss man ja nicht zwingend selbst auch zufrieden sein, oder?

Nee, aber man dreht ja oft auch so viel, dass man gar nicht mehr weiß, welche Szene gut und welche schlecht war. Und wenn es für mich nicht gestimmt hat, bitte ich den Regisseur einfach, den Take wegzuschmeißen und es noch mal machen zu dürfen.

Was ist für Sie Erfolg, Frau Herzsprung?

Erfolg für mich ist gerade, dass „Vier Minuten“ schon vor dem Kinostart so positiv aufgenommen wird, Preise gewinnt. Darauf will ich mich aber nicht ausruhen: Ich kann’s kaum erwarten, wieder zu drehen.