„Brutalität“ vom Amts wegen

„Wir sind gedrillt worden, auf Kosten zu gucken“: Wie die Sparvorgaben im Amt für Soziale Dienste durchgesetzt wurde, das berichteten gestern Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss Kindeswohl

von Klaus Wolschner

„Es war ein Alptraum“, „nicht auszuhalten“. Mit diesen Worten beschrieb die Leiterin der Abteilung „Wirtschaftliche Hilfen“ im Sozialzentrum Gröpelingen/Walle, Marianne Riesenberg, gestern vor dem Untersuchungsausschuss „Kindswohl“ die Controlling-Sitzungen im Amt für Soziale Dienste. Amtsleiter Jürgen Hartwig habe die Sparvorgaben durchgesetzt – rücksichtslos. „Dafür habe ich ihn gehasst.“ Oft sei sie heulend aus den Controlling-Sitzungen herausgegangen, berichtete sie, und gesagt: „Das kann Bremen doch nicht wollen, eine Sozialpolitik in dieser Brutalität.“ Gesetzlicher Auftrag der sozialen Dienste? „Jetzt hieß es Budget!“ Wer behauptet, es sei nicht um die Kosten gegangen? „Wir sind gedrillt worden, auf Kosten zu gucken“, formulierte Riesenberg.

Sozialarbeiter L., der zuvor als Zeuge vernommen wurde, hatte berichtet, seit dem Tod von Kevin sei alles anders geworden. Notwendige kostenträchtige Hilfsmaßnahmen gingen ohne Probleme durch. Der Bürgermeister habe gesagt, Geld dürfe da keine Rolle spielen. Das Hermann-Hildebrand-Haus für die Notunterbringung von Kindern, das 2005 einen dramatischen Rückgang an zugewiesenen Kindern verzeichnen hatte, sei übervoll.

Sehr konkret beschrieb L., wieso die Mitarbeiter im Amt so unzufrieden mit dem Zustand ihrer Institution nach diversen Strukturreformen sind: Früher habe er einen kleinen Bezirk gehabt, habe dort präsent sein können und seine Problemfamilien gekannt. Er habe sogar mal einen Jugendlichen mit zu sich nach Hause genommen, wenn der für einen Tag versorgt werden musste. Sozialarbeit sei eben „Beziehungsarbeit“. Heute sei er „Case Manager“ – „leider“. Zu zwei Dritteln müsse er am Schreibtisch arbeiten, Tabellen ausfüllen, Anträge schreiben. Die konkrete Sozialarbeit müsse er an freie Träger delegieren. „Das ist eine Sache, die mir nicht passt.“ Das Wort „Hausbesuche“ sucht man in den Dienstanweisungen für „Case Manager“ vergeblich.

Offenbar ist L. nicht der einzige, der die derzeitige Organisationsform innerlich ablehnt. Teilweise haben sich alte Arbeitsstrukturen informell erhalten, Fachaufsicht „brauche ich eigentlich nicht“, sagte L. Und er lehne es ab, bei der fachlichen Beurteilung von Maßnahmen die Kostenschere im Kopf zu haben. Aber es sei eben so, „dass wir uns damit auch infiziert haben“, bekannte er.

Als der Tod von Kevin bekannt wurde, habe er einen Antrag auf vorzeitigen Ruhestand gestellt, weil ihm klar geworden sei, dass er eigentlich nicht verantworten wolle, was er jeden Tag nicht tun könne.

Wie der Kostendruck vom zuständigen Staatsrat Arnold Knigge ins Sozialamt kam, das schilderte anschließend Marianne Riesenberg. Wenn etwa in Tenever die Krause-Wohnungen abgerissen würden, berichtete sie, frage niemand, wohin die Menschen zögen: nach Gröpelingen, weil es da preiswerten Wohnraum gebe. Dann stiegen dort die Fallzahlen an – und in der Controling-Sitzung werde das den dortigen AbteilungsleiterInnen als persönliches Versagen vorgehalten. Riesenberg war gestern noch empört darüber. „Ich bin keine Versagerin“, versicherte sie dem Ausschuss, „soll ich denn das Trinkwasser vergiften in Walle?“

Amtsleiter Hartwig habe noch ein anderes Druckmittel zur Senkung der Fallzahlen gehabt: Vakante Stellen wurden nicht oder nicht so schnell besetzt.