Mitleidslose Distinktionsgewinne

Das Gute an Verlierern: Sie halten vom Nachdenken über eigene Schwächen ab. Jedenfalls in Linus Volkmanns Roman „Anke“

„Feelings“ heißt der erste Teil von Linus Volkmanns Roman „Anke“. Gefühle zeigen gehört aber eigentlich gar nicht in den Tätigkeitsbereich dieses Autors. Hauptberuflich arbeitet er als Redakteur des Kölner Musikmagazins Intro, und das Blatt hat sich zuletzt bemüht, anderen die Rolle des Opinion Leaders in der deutschen Musikpresselandschaft streitig zu machen, da kann man sich keine Sentimentalitäten erlauben.

Volkmann wird in Szenekreisen für seine respektlosen Texte geschätzt. Woran stimmt: Während Intro kostenlos ausliegt und durch seine Abhängigkeit von den Zuwendungen der Musikindustrie kritische Gedanken zum Popgeschehen mit einer Anzeigenkunden-konformen Haltung in Einklang bringt, zeichnete sich Volkmanns schriftstellerische Tätigkeit durch Unbestechlichkeit aus. In seinen drei früher erschienenen Büchern gab es liebevoll geschilderte Geschichten zu lesen, über Radaubrüder und -schwestern mit Comicnamen wie Superlupo, Cobra oder Dippsy. In konsequenter Kleinschreibung überführte der Autor ihr punkiges Jugendzentrumsentenhausen in sprachliches Kleinholz. Ständig bekam jemand eins auf die Mütze, berappelte sich wieder und wurschtelte weiter. „Anke“ ist nun Volkmanns erste Geschichte, die aus menschlichen Figuren modelliert ist und eine zusammenhängende Handlung erzählt.

Volkmanns Personal ist älter geworden, Gärtner heißt sein angejahrter Antiheld. Der dreißigjährige Slacker hat sich nach Lehr- und Wanderjahren in Hamburg und Berlin aus Bequemlichkeit wieder dem heimatlichen Frankfurt zugewandt. Dort zieht er vorübergehend bei den Eltern ein, hält sich mit Gelegenheitsjobs für die Musikindustrie über Wasser und dockt an eine längst aufgegebene Beziehung zu seiner Jugendliebe Anke an. Die hat sich dem auf eigene Rechnung arbeitenden Gärtner gegenüber inzwischen beruflich verbessert und arbeitet als Redakteurin bei der „hessischen Vogue“. Ansonsten besucht sie mit Kollegen langweilige Partys konkurrierender Medienschaffender, denen sie mit Koksen auf dem Klo, Ausspionieren der Privatsphäre und bissigen Bemerkungen Bedeutung verleiht. Das anfängliche Mitleid gegenüber dem Ex ist sie bald leid. Kein Wunder, Gärnter mampft mit Vorliebe Chips im Bett seiner Freundin und „knackt“ lieber Pflaumenschnäpse, anstatt zu arbeiten. Ein Punkt bei alledem jedoch: Was Volkmann bislang auszeichnete, sprachliche Spontaneität und die Möglichkeit, in der knetfigurenhaften Überzeichnung von Superlupo und Co. auch knifflige Gefühlslagen zu transportieren nämlich, fehlt seinem neuen Buch leider.

Die Konsumrebellen sind inzwischen zu konventionellen Kannibalen mutiert. Obwohl sie der absteigenden Mittelschicht angehören, die zunehmend proletarisiert wird, reflektieren sie ihre Lage nie. Der große Misanthropenreport Marke Irving Welsh bleibt aus, Volkmann entlockt dem trotzigen Hedonismus in der Provinz wenig Neues. Sicher, Anke nimmt immer die erste Nase, überhaupt erweist sich das weibliche Personal als widerstandsfähiger und karrierebewusster als die von Volkmann so bezeichneten wehleidigen „Männchen“. Insgesamt bleiben Gärtner und Anke und die anderen als handelnde Personen aber statisch.

„Anke“ stellt die Welt als Scheibe dar und Wörter wie Prekariat liegen wie Trümmer auf ihrer Oberfläche. Wenn es zu Dialoggefechten kommt, ringen eher die Stakkatosätze miteinander als die Menschen. Aus dem virtuosen Spiel um Zeichen und Bedeutungen ist ein Zwang zur Positionierung geworden. Wer die Schwächen der anderen erkennt und anprangert, erringt Distinktionsgewinne, denn es gibt immer noch größere Verlierer, die vom Nachdenken über die eigenen Unzulänglichkeiten abhalten. Der Autor maskiert diese Ellbogenmentalität mit Ironie. Doch misst Volkmann der Popoberfläche dabei zu viel Bedeutung zu, er schafft es nicht, aus den Erlebnissen der Protagonisten existenzielle Gefühle herauszukitzeln. Schade. JULIAN WEBER

Linus Volkmann: „Anke“. Ventil-Verlag, Mainz 2006, 205 Seiten, 14,90 Euro