Drei-Tage-Zaun am Ostseestrand

Diese stählerne Grenze wird alles symbolisieren, was die Gegner des G-8-Gipfels bekämpfen

AUS BAD DOBERAN UND HEILIGENDAMM DANIEL SCHULZ
UND CHRISTIAN JUNGEBLODT (FOTOS)

Wer schon in diesen Tagen das Bild des Sommers sehen will, muss lange suchen. Es geht über schlammige Waldwege, eine kleine Brücke, vorbei an aufgestapelten Baumstämmen und einen gepflügten Acker entlang. Dann erblickt man sie: stählerne Pfosten, die sich am oberen Ende wie verstümmelte Bäume gabeln, mit hellgrauen Betonblöcken als Wurzeln. Kerzengerade stehen sie im „Großen Wohld“, wie der Wald südlich von Heiligendamm genannt wird. Sie sind die ersten Vorboten des längsten, teuersten und sichersten Zaunes, der in Deutschland je gebaut wurde. Drei Tage lang soll er im Juni die acht mächtigsten Personen der Welt während ihres Treffens in dem Ostseebad schützen.

Doch diese stählerne Grenze wird weit mehr sein als nur ein Zaun. Sie wird alles symbolisieren, was die Gegner des G-8-Gipfels bekämpfen: Die Ausgrenzung der Armen durch die Reichen, die undurchsichtigen Entscheidungen der Mächtigen über die Machtlosen. Die Polizei erwartet bis zu 100.000 Globalisierungskritiker, die Straßenblockaden und Demonstrationen angekündigt haben. Sie werden an dem Zaun protestieren und versuchen, ihn zu überwinden. 16.000 Beamte sollen sie daran hindern. Deshalb werden auch die Fernsehkameras aus aller Welt vor allem den Zaun im Auge haben. Selbst die sonst so besinnliche Zeit schrieb kürzlich, das Bollwerk wirke wie „die Vorbereitung auf einen Bürgerkrieg“.

Für Frank Neumann ist der Zaun nur eine Ansammlung von technischen Details. „900 Kilo schwer ist so ein Fundament“, sagt er nüchtern und zeigt aus dem Autofenster auf die Betonquader. „Alle 2,50 Meter liegt eins.“ Und: „Die Höhe der Pfosten beträgt ebenfalls 2,50 Meter.“ Neumann interessiert sich nicht für die, die der Zaun trennen soll. Er will, dass er pünktlich fertig wird, und dass er hält. Neumann hat in der DDR Bauschlosser gelernt. Heute ist der 45-Jährige mit den starken geschwungenen Augenbrauen und der kräftigen Nase Chef der Firma „Metall-Zaun-Stahlbau“. Er errichtet den Zaun, der sich zwischen der Kleinstadt Bad Doberan und dem sechs Kilometer entfernten Ortsteil Heiligendamm durchs Gehölz und über Wiesen ziehen wird. Wenn er über Fundamente und Stahlpfosten spricht, lehnt er sich entspannt in seinen Sitz und sieht zufrieden aus. Für ihn läuft bisher alles nach Plan. Seine kleine Firma hat sich in einer internationalen Ausschreibung gegen mehrere Großbetriebe durchgesetzt. Jetzt baut er mit 18 Kollegen die Absperrung, die der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und dem US-Präsidenten George Bush unliebsamen Protest vom Hals halten soll.

Gut 12 Kilometer lang wird das Bollwerk werden. Anfang Januar haben die Männer von Frank Neumann angefangen, im Mai müssen sie fertig sein. Stehen bleiben wird er nur 72 Stunden, vom 6. bis zum 8. Juni. Jeder Kilometer kostet zusammen mit der Sicherheitstechnik fast eine Million Euro. Macht insgesamt 11 Millionen. Das arme Mecklenburg-Vorpommern hatte gehofft, diese Summe würde alle Kosten des Gipfeltreffens abdecken. Doch das wird etwa 90 Millionen Euro teuer. Seit Monaten ringt Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD) mit dem Kanzleramt um die Verteilung der Aufwendungen. Er hat jetzt noch ungute Erinnerungen an den vergangenen Sommer. Da hatte Angela Merkel Bush zu einem Privatbesuch in ihren Wahlkreis eingeladen und noch immer streiten Schwerin und Berlin darum, wer diese Visite bezahlt.

Frank Neumann beeindrucken diese Summen nicht. „Zäune bauen ist nun mal mein Beruf.“ Für ihn ist der Staatsauftrag ein Job wie jede andere. Normalerweise stellt er Bauzäune auf oder schweißt Schiebetore für Fabriken. Natürlich freut er sich über das Geld, das ihm der Zaun einbringt. Wie viel das ist, verrät er nicht. Er ist froh, dass sich seine Leute eine Weile keine Sorgen um ihre Arbeitsplätze machen müssen. All die Bilder, mit denen seine Arbeit aufgeladen wird, sind ihm egal. Er ist Pragmatiker. So hat er auch seinen Beruf ausgewählt. Als er sich nach der Wende selbstständig machen wollte, guckte er erst einmal, „was es im Westen so gab und im Osten nicht“. Und baute von da an Zäune. Um Eigenheime, Sportplätze, Schulhöfe, Tiergehege. „Was im Sommer hier passieren wird“, sagt Neumann, „ist für mich noch weit weg.“

Das gilt auch für die 11.000 Einwohner von Bad Doberan, dem ruhigen Ostseebad, das nicht direkt an der Küste liegt. Viele ältere Menschen machen hier Urlaub. Durch den Ort und weiter nach Heiligendamm fährt gemächlich die Dampflok „Molli“. Sie tuckert in der Einkaufsstraße so dicht an den Häusern vorbei, dass man aus dem Zug heraus die Wände anfassen kann. Die Straße heißt Mollistraße, es gibt eine Molli-Apotheke und das Steakhaus „Molliblick“. Der G-8-Gipfel und der Zaun beschäftigen die Menschen hier noch nicht.

Die Polizei will sie trotzdem darüber informieren, was auf sie zukommt. Deshalb zieht sie über die Dörfer und lädt zu Bürgerversammlungen ein. In dem schmucklosen Raum des Gemeindezentrums von Bad Doberans Nachbargemeinde Rethwisch sitzen an diesem Donnerstagabend 150 Menschen auf Plastikstühlen. Ein paar Kinder sind dabei, auch Jugendliche, doch die meisten sind 40 Jahre und älter.Die Stimmung erinnert an eine Schulstunde. Es wird getuschelt und halblaut durcheinandergeredet. Zwei Polizisten zeigen mit einem Beamer, was der G-8-Gipfel bringen wird: Ausweiskontrollen. Zwei „Checkpoints“, einer für Fußgänger, einer für Autofahrer. „Berechtigtenausweise“ für diejenigen, die in Heiligendamm wohnen oder arbeiten.

Gelassen hören die Besucher zu. Viele nicken verständnisvoll. Es gibt nur wenige Fragen. „Dürfen weiter Sommergäste kommen?“ Ja, sagen die Beamten. „Werden Randalierer gestoppt?“ Natürlich. „Bekomme ich während des Gipfels auch Nachschub für meinen Würstchenstand?“ Klar. „Und stellen Sie sich schon mal darauf ein, dass Sie viel Kundschaft haben werden“, sagt einer der Polizisten. „Uns zum Beispiel.“ Nach anderthalb Stunden ist die Versammlung zu Ende. „Sicherheitsmaßnahmen muss es ja geben“, sagt eine junge Frau und die Umstehenden nicken. „In der kurzen Zeit werden wir uns eben darauf einstellen.“

Vielleicht kommt dieser Gleichmut daher, dass der millionenteure Zaun nach drei Tagen wieder verschwinden wird. Anders sieht es mit den kleinen Zäunen aus. Kniehoch sind sie und nicht annähernd so spektakulär wie der Gipfel-Zaun. Sie sind’s, die die Menschen auf die Barrikaden treiben. Zäune, die keine Staatschefs schützen sollen, sondern wohlhabende Urlauber. Sie stehen um das Kempinski-Hotel, in dem die Regierungschefs der G 8 nächtigen werden. Der Investor Anno August Jagdfeld und seine Fundus-Gruppe haben es nach der Wende gekauft, ebenso wie die meisten historischen Häuser im ältesten deutschen Seebad. Seither gibt es Streit, denn Jagdfeld will nicht nur das Hotel absperren lassen, sondern alle alten Villen am Strand.

Dagegen kämpfen Hannes Meyer und Heike Ohde. „Der große Zaun symbolisiert nur, was hier schon Realität ist“, sagt Heike Ohde. „Wir sind nicht gegen das Luxushotel“, ergänzt Hannes Meyer. „Aber es kann nicht sein, dass Baudenkmäler nicht mehr für die Öffentlichkeit zugänglich sind.“ Beide arbeiten als Architekten in einem gemeinsamen Büro. Sie haben die Bürgerinitiative „Pro Heiligendamm“ und die Partei Bürgerbund gegründet. Viele der Mitglieder sind ebenfalls Architekten, andere Grafiker. Manche haben in Heiligendamm in der Fachschule für angewandte Kunst studiert, die vor sieben Jahren zumachte. Der Vater von Hannes Meyer lehrte dort.

Meyer spricht langsam und mit dunkler Stimme, Heike Ohde mit kurzen schnellen Sätzen und Bewegungen. Selbst zu DDR-Zeiten, als Heiligendamm ein Sanatorium war, konnten die Bad Doberaner einfach durch die so genannte Perlenkette laufen. Das ist eine Reihe alter Badehäuser, die sich neben dem Hotel den Strand entlang zieht. Der Investor will sie zu einem Refugium für seine Gäste machen, ein „Arkadien“, wie er es nennt. Das müsse abgesperrt werden, damit die gut betuchten Besucher sich nicht gestört fühlen und endlich zahlreicher kämen. Bisher ist das Hotel nicht ausgelastet. „Alles einzuzäunen, wird daran aber nichts ändern“, sagt Heike Ohde, „das macht das Areal nur zu einer Geisterstadt.“

Ein wenig gespenstisch ist es dort schon jetzt. Während das Hotel in unwirklich hellem Weiß erstrahlt, verschwimmt die Farbe der Villen immer mehr zu einem dreckigen Grau. Der Lack blättert von alten Holztüren. Fensterscheiben fehlen. Zwischen klassizistischen Säulen weht einsam ein blauer Wimpel mit drei Eiskugeln darauf. Das „Schwanencafé“ ist vor einigen Wochen ausgezogen. Einziges Geräusch ist ein regelmäßiges Krachen. Ein Bagger rammt seine Schaufel in die Überreste einer Villa. Jagdfeld lässt sie abreißen, an ihrer Stelle wird zum G-8-Gipfel eine Tribüne für Journalisten stehen. Zwei weitere Häuser sollen folgen. Auch dagegen kämpfen Meyer und Ohde.

Dass sie nicht allein sind, zeigt eine Abstimmung des Stadtrates vom Dezember vergangenen Jahres. Das Gemeindeparlament sollte entscheiden, ob die Straße durch die Perlenkette ebenfalls künftig Jagdfeld gehört. 11 Vertreter stimmten dafür, 10 dagegen. Bad Doberan ist gespalten. Und zwischen den Parteien sitzt der Bürgermeister. Hartmut Polzin, SPD. Einst war auch Hannes Meyer in dieser Partei, wegen Heiligendamm ist er ausgetreten. Polzin wirkt nervös. Er wippt beim Reden mit den Füßen, trommelt mit den Fingern, lehnt sich vor und zurück. Er sagt, er verstehe beide Seiten, andere Meinungen gebe es immer. Im Zweifel allerdings hat er bisher stets für Jagdfeld entschieden. „Die Rechtslage hat mir das nahegelegt.“ Seine eigene Meinung tut er nur selten kund. „Da kann man nichts anderes machen“, ist ein typischer Satz. Findet er es denn gut, dass der G-8-Gipfel nach Heiligendamm kommt? „Ob ich das will oder nicht, da könnten Sie auch fragen, ob ich morgen gerne Regen oder Sonne hätte.“

Der große Zaun indes wächst weiter. Bisher nur wenige Meter am Tag. Regen weicht die Erde auf, das erschwert die Arbeit. Östlich von Heiligendamm steht schon ein fertiges Stück, 500 Meter, mit eingesetztem Gitter und Nato-Draht. Es dauert lange, bis die Teile vollständig zusammengesetzt sind. Die Reihe der Betonfundamente wächst hingegen schneller. Wie graue Dominosteine ziehen sie sich vom Feld durch den Wald bis an die Straße nach Bad Doberan.

Frank Neumann, der den Zaun errichtet, wird ihn nach dem Gipfel auch wieder abbauen. Wenn die Bad Doberaner Lust auf Abenteuer haben, wenn es sie zu exotischen Tieren und in ferne Länder zieht, dann begegnen sie ihm vielleicht wieder. Der Zoo in Rostock und der Flughafen in Hamburg haben bereits Interesse am Kauf des Drei-Tage-Zauns angemeldet.