Gesundheitskonzern kauft Privatuni

Das Bildungs- und Gesundheitsunternehmen SRH will sich mit der Uni Witten/Herdecke ein Aushängeschild kaufen. Die klamme Alternativuni erhofft sich den Ausgleich ihres 6-Millionen-Defizits. SRH hingegen will schwarze Zahlen schreiben

VON CHRISTIAN FÜLLER

Als die Stoeckerwerke 1955 gegründet wurden, sollten sie den Schwachen auf die Beine helfen. Sie schulten Kriegsverehrte um und rehabilitierten Behinderte. Heute ist es wieder so. Nur dass aus den Stoeckerwerken inzwischen ein Gesundheits- und Bildungskonzern geworden ist – und der Hilfebedürftige eine Uni. Witten/Herdecke, die wichtigste, aber stets kriselnde private deutsche Hochschule soll von der Stiftung Rehabilitation Heidelberg, kurz SRH, vor der Pleite bewahrt werden.

Der Gesundheitskonzern mit einer halbe Milliarde Euro Umsatz plant, „sich mit einer relevanten Summe dauerhaft an Witten/Herdecke zu beteiligen“, bestätigte Uni-Sprecher Dirk Hans der taz. Bereits an diesem Wochenende wird der Vorstandsvorsitzende der SRH, Klaus Hekking, in Witten sagen, welche Ziele er verfolgt. Für Uni-Präsident Wolfgang Glatthaar ist die Kooperation überlebenswichtig: „Wir sind auf Dauer defizitär.“ Ohne potenten Partner gehe es nicht weiter.

Die Fusion ist in der Uni Witten umstritten. Die Studenten haben am Dienstag bis tief in die Nacht mit Mitarbeitern und Freunden über die Zukunft diskutiert. Es herrscht Unsicherheit „über Entscheidungen in dieser Uni, die für uns nicht nachvollziehbar sind“. Die Studentin Nina Roy, Mitglied der einflussreichen Wittener Studierendengesellschaft, sagte der taz. „Es geht uns um eine Rückbesinnung auf die Idee der Universität.“ Diese Idee gründet darauf, neue Formen des Lehrens und Lernens zu erproben. Und zwar, so will es die Satzung, „unabhängig von wirtschaftlichen Gesichtspunkten“ – sprich: von Profit.

Auch der SRH-Konzern gibt sich innovativ. Er ist als gemeinnützige Stiftung organisiert. Allerdings strebt das Unternehmen, das bundesweit fünf Hochschulen und diverse Krankenhäuser betreibt, vor allem danach, Gewinn zu erwirtschaften. „Wir suchen ständig nach neuen Geschäftschancen im Gesundheits- und Bildungsmarkt“, heißt einer der zentralen Unternehmenswerte. Ziel: eine „Rendite von mindestens 3 Prozent pro Jahr“. Das ist der Unterschied zu Witten, das immer in den roten Zahlen steckte, derzeit mit sechs Millionen Euro jährlich. „Wir“, betont hingegen SRH-Sprecher Nils Birschmann, „schreiben schwarze Zahlen.“

In Witten sind nicht allein die Studenten verwirrt über den Fusionskurs ihres Präsidenten. Auch im Präsidium gibt es eine „schwere Führungskrise“, wie Beteiligte bestätigen. Dabei hat die Uni Witten ihren wohl wichtigsten Mann eingebüßt – den wissenschaftlichen Geschäftsführer der Medizin, Matthias Schrappe. „Es gibt erhebliche Differenzen mit dem Präsidium“, sagte Schrappe. Er löste seinen Vertrag fristlos und verließ die Uni, um sich „von dem ganzen Stress zu entspannen“.

Schrappe hatte Witten mit seinem Konzept für die Uni-Medizin einst gerettet. Weil die obersten deutschen Hochschulgutachter diesem wichtigsten Bereich der Privathochschule Mängel in der Forschung attestierten, stand die ganze Uni vor dem Aus. Wenn Schrappe jetzt geht, ist das ein schwerer Verlust.

Wohin die Reise geht, ist absehbar. Die anerkannte Hochschule soll den SRH-Konzern veredeln. „Die wollen uns als Aushängeschild“, weiß man in der Uni-Leitung – und hofft, dass die SRH das Wittener Prinzip mitträgt: „immer defizitär“. Die früheren Stoeckerwerke freilich verstehen Rehabilitation längst nicht mehr karitativ. Als jüngst das Geschäft mal schlechter lief, reagierte Chef Hekking schnell: Er sparte sechs Millionen mit einem „umfassenden Restrukturierungsprogramm“ ein – auf gut Deutsch: Entlassungen.

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