Große Autos dürfen viel schlucken

Neuwagen in Europa sollen ab 2012 im Schnitt nur noch 130 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer in die Luft blasen. Doch welcher Autohersteller wie viel zu diesem Ziel beitragen muss, ist offenbar auch den zuständigen EU-Kommissaren noch unklar

AUS BRÜSSELDANIELA WEINGÄRTNER

Zum Duell hatten die Medien in den vergangenen Wochen den Streit zwischen Umweltkommissar Dimas und Industriekommissar Verheugen hochstilisiert: hier der tapfere Kämpfer fürs Weltklima, dort der egoistische Verfechter deutscher Automobilinteressen. Der High Noon gestern fiel aber undramatisch aus. Die neue Strategie, mit der Kohlendioxidemissionen bei Neuwagen bis 2012 auf 120 Gramm pro Kilometer gesenkt werden sollen, stellten beide gemeinsam betont freundschaftlich in Brüssel vor.

Bis Mitte 2008 ein Gesetzentwurf daraus wird, sind aber weitere Konflikte vorprogrammiert. Denn die Autoindustrie soll nur einen Teil der Sparleistung erbringen. Auf 130 Gramm CO2 pro Kilometer soll sie im Schnitt die Schadstoffbelastung senken. Weitere 10 Gramm sollen „Effizienzverbesserungen“ bei anderen Fahrzeugkomponenten bringen, wie zum Beispiel Klimaanlagen, Reifen und Sprit. Wie diese 10 Gramm aufgeteilt werden und wie die Ersparnis gemessen wird, vermochte Umweltkommissar Dimas gestern noch nicht zu sagen.

Auf die für die Autoindustrie äußerst brisante Frage, ob der Durchschnittswert von 130 Gramm, bezogen auf den jeweiligen Hersteller, den Produktionsstandort oder die gesamte in der EU verkaufte Neuwagenflotte berechnet werde, antwortete Verheugen: „In Deutschland ist der völlig falsche Eindruck entstanden, dass es einheitliche Reduktionsziele für alle Typen und Fahrzeugklassen geben solle. Das war nie geplant.“ Vielmehr hätte die Kommission immer betont, dass sie die Besonderheiten einer Fahrzeugklasse und die Standortbedingungen der Hersteller berücksichtigen werde. Mit anderen Worten: Von den sogenannten „Premiummarken“ in Deutschland werden geringere Sparanstrengungen verlangt als von einem Produzenten von Kleinwagen und Mittelklasseautos.

Ein Seitenblick auf seinen Kollegen Dimas brachte Verheugen etwas später dazu, diese Aussage zurückzunehmen. „Es geht hier nicht um große oder kleine Autos, sondern um die Frage, wie sich die Hersteller auf dem Markt behaupten können.“ Dem größten Kostendruck durch Konkurrenz aus Japan und zunehmend auch China seien die Kleinwagenproduzenten ausgesetzt. „Ich lasse keinen Zweifel daran, dass wir von den Herstellern großer Autos stärkere Anstrengungen erwarten – und die können das auch leisten.“

Welche Kosten durch die Entwicklung Sprit sparender neuer Motoren entstünden, werde die Kommission in den nächsten Monaten wissenschaftlich berechnen lassen, kündigte Verheugen an. Während die Industrie vorrechnet, dass die Fahrzeugpreise um mehr als 3.000 Euro steigen werden, hielten Experten in einer Anhörung im EU-Parlament Kosten von 300 Euro für realistisch. Die EU-Kommission merkt an, dass seit 1995 der Spritverbrauch bei Neuwagen im Schnitt um 12 Prozent gesunken ist, die Preissteigerung aber hinter der Inflation zurückbleibt.

Der Europäische Automobilverband (Acea) kritisierte die Pläne der Kommission. Generalsekretär Ivan Hodac behauptete, die Kommission habe die Folgen für europäische Hersteller längst wissenschaftlich untersuchen lassen. „Die Studie bleibt in der Schublade, weil sie massive Einbrüche für die europäische Autoindustrie voraussagt.“ Außerdem trage die EU-Kommission durch strenge Filter- und Sicherheitsauflagen mit dazu bei, dass der Spritverbrauch hoch bleibe. Auch die Mitgliedstaaten hätten ihr Versprechen nicht eingehalten und bis heute keine am CO2-Ausstoß orientierte Kfz-Steuer eingeführt.