Duell unterm Baukran

aus Seseña Reiner Wandler

Das ist er also, der „letzte anständige Bürgermeister Spaniens“. Den Titel verdankt Manuel Fuentes seinem härtesten kommunalpolitischen Widersacher, dem Bauunternehmer Francisco Hernando. „Verlange, was du willst“, forderte der Besitzer der Baufirma ONDE 2000 den Bürgermeister des 12.000-Seelen-Ortes Seseña auf. Hernando hoffte auf diese Art die Vergabe von Baugenehmigungen beschleunigen zu können. Doch er hatte sich geirrt. Fuentes von der Vereinigten Linken (IU) ist nicht käuflich. „Du bist der letzte anständige Bürgermeister Spaniens“, tobte der Baulöwe. Das hat den 50-jährigen ehemaligen Schweißer in ganz Spanien bekannt gemacht.

„Hernando erstellt in Seseña ein Neubaugebiet mit 13.500 Wohnungen, vier Kilometer vom Ortskern entfernt. Ohne Wasseranschluss, ohne Stromversorgung und ohne soziale Einrichtungen für die künftigen 50.000 Bewohner“, erklärt Fuentes. Er erteile deshalb keine weiteren Baugenehmigungen, bis diese Probleme gelöst seien. 5.000 Wohnungen sind erst fertig. Dem Bauunternehmer kommen die Pläne durcheinander, denn die Nachfrage ist groß. Seseña liegt an zwei Autobahnen, 40 Minuten vor Spaniens Hauptstadt Madrid.

Überall wird geschmiert

Bürgermeister Fuentes interessiert das nicht. Für ihn ist das ganze Projekt – das größte, das jemals von einem einzigen Unternehmer erstellt wurde – ein Unding. Neben einem Dorf mit kleinen, alten Häusern, die höchstens zwei oder drei Stockwerke haben, entstehen auf 900.000 Quadratmetern riesige Wohnblocks mit bis zu zehn Etagen. „65 Wohnungen pro Hektar. Eine solche Bebauungsdichte gibt es seit Anfang der Siebzigerjahre in Spanien nirgends mehr“, schimpft Fuentes. Das neue Wohngebiet zerstöre die gesamte Dorfstruktur. Dennoch es ist zu spät, daran etwas zu ändern.

Das Neubaugebiet ist von Fuentes’ Vorgänger ausgeschrieben worden – „ohne die Öffentlichkeit zu informieren“, wie Fuentes sagt. Der Exbürgermeister war von der PSOE, der sozialistischen Partei, die die ganze Region Castilla-La Mancha, zu der Seseña gehört, regiert. Nur ein Jahr dauerte die Umwidmung des Agrarlandes zu Bauland. „Erstaunlich schnell. Das geht nur, wenn alle übergeordneten Stellen sofort einverstanden sind.“ Fuentes sagt, mittlerweile lägen auch Beweise dafür vor, dass ONDE 2000 unmittelbar nach der Ausschreibung des Neubaugebietes in Seseña in einem Reitklub der Familie von Exverteidigungsminister José Bono, des damaligen Landesvaters der Region, tätig war. So gut habe man sich mit der PSOE gestellt. „Das Unternehmen arbeitet normalerweise nicht für andere Auftraggeber.“

Die Korruption bei der Umwidmung von Agrarland zu Bauland hat mittlerweile einen Großteil der spanischen Gemeinden erfasst. Alleine rund um Madrid sind mehr als 20 Gemeinden das Ziel von Ermittlungen. In ganz Spanien geht die Zahl – kurz vor den Kommunalwahlen im Mai – in die Hunderte. Auf der Liste von Transparency International, einer NGO, die gegen Korruption kämpft, ist Spanien von Platz 22 auf Platz 23 abgesackt.

Die Bauindustrie bewegt riesige Beträge: Ob an der Küste oder rund um die großen Städte – die Blocks schießen wie Pilze aus dem Boden. Seit zehn Jahren boomt das Geschäft mit dem Beton. Die Wohnungspreise haben sich seit Mitte der Neunzigerjahre vervierfacht.

80 Prozent der Spanier leben in Eigentumswohnungen. Nirgends in der Europäischen Union gibt es so viele Wohnungen wie hier: 23,2 Millionen Wohnungen bei 42 Millionen Einwohnern. Doch längst kaufen nicht nur die eine Wohnung, die darin leben wollen. Vielen Spaniern dient der Wohnraum als Investition. 3,5 Millionen Wohnungen stehen leer. In ganzen Neubaugebieten gehen die Rollläden nie hoch.

Wer tatsächlich eine Wohnung braucht, kann sie sich oft nicht leiste – oder wenn, dann nur weit außerhalb der Städte. Eine spanische Familie gibt mittlerweile durchschnittlich 45 Prozent ihres Monatseinkommens für den Wohnungskredit aus. Der Gesamtschuldenberg der spanischen Haushalte beläuft sich auf 75 Prozent des BIP.

Einer der großen Gewinner dieses Booms ist der Gegenspieler von Bürgermeister Fuentes, der 57-jährige Francisco Hernando. Seine Karriere ist nicht untypisch für Spaniens Bausektor. Vor nur wenigen Jahren mauerte der Analphabet Sickergruben und Abflusskanäle. Heute ist er Multimilliardär. Er besitzt die größte Flotte von Privatflugzeugen Spaniens. Und seine Yacht ist länger als die von König Juan Carlos. Der Wunsch von so jemandem ist Gesetz – erst recht, wenn er sich erkenntlich zeigt.

„Wenn er glaubt, dass ich das einfach so hinnehme, ist er sich nicht im Klaren darüber, was er gemacht hat“, droht Hernando deshalb und greift zu Methoden, die an das Chicago der Zwanziger- und Dreißigerjahre erinnern. Mehrmals schickte er über tausend Arbeiter zu Protestkundgebungen vors Rathaus. Bürgermeister Fuentes sei schuld, wenn sie mangels neuer Lizenzen arbeitslos würden. Die Meute schreckte nicht davor zurück, mit Gewalt in die Gemeindeverwaltung einzudringen. Gleichzeitig reichte Hernando gegen Fuentes eine Anzeige auf Schadensersatz in Höhe von mehreren Milliarden Euro ein. Das sei der Schaden, der ihm durch die Verzögerung des Baus wegen fehlender Genehmigungen entstehe. Um die Bevölkerung zu gewinnen, lädt Hernandos ONDE 2000 zu Massenessen, veranstaltet Busreisen und subventioniert Vereine. Die Kampagne wird dann in der von Hernando gegründeten kostenlosen Wochenzeitung La Voz in Seseña verbreitet. Die Botschaft ist einfach: Der großzügige Unternehmer ist das Opfer eines böswilligen, roten Bürgermeisters. Ein Radio- und ein Fernsehsender sollen bald folgen.

Volksheld Fuentes

„In anderen Dörfern hat er genau zur gleichen Strategie gegriffen“, erzählt Fuentes, der es täglich im Gemeinderat mit dem langen Arm Hernandos zu tun hat. Dort setzen Sozialisten und Konservative immer wieder gemeinsam Anträge zugunsten von ONDE 2000 durch. Die Schriftsätze, die beide Parteien dabei vorlegen, sind identisch. Sie stammten wohl aus der Feder des Bauunternehmers höchstpersönlich, vermutet der Bürgermeister. Mehrere sozialistische Gemeinderäte stehen direkt auf der Lohnliste Hernandos. „Wir verwalten die Gemeinde, regieren können wir schon längst nicht mehr“, ist das Fazit des Ortsvorstehers.

Doch aufgeben will Fuentes nicht. Er ist längst so etwas wie ein Volksheld in Spanien geworden. Der Bürgermeister von Seseña wird in Zeitungen interviewt, spricht im Radio und im Fernsehen. Spontan bildeten sich verschiedene Initiativen, auch in der Hauptstadt Madrid, um die demokratischen Institutionen gegen die Bauspekulanten zu verteidigen. „Ich hoffe, dass unser Fall die Bevölkerung zunehmend sensibilisieren wird und dadurch mehr Druck auf die großen Parteien entsteht, endlich etwas zu ändern“, erklärt Fuentes und zeigt stolz einen Stapel ausgedruckter Solidaritätsmails: „Nicht nur aus den eigenen Reihen, sondern auch von Sozialisten und selbst von Konservativen.“ Aus anderen Gemeinden – versteht sich.