Ökostrom aus der Konserve

Die Launen der Natur machen eine sichere Stromversorgung mit Wind- und Sonnenkraft nur schwer planbar. Mit neuen Methoden, Ökostrom zu speichern, kommen Ingenieure einer Zukunft mit weniger Kohlendioxid-Emissionen immer näher

„Wir müssen lernen, unsere Wäsche zu waschen, wenn der Wind weht“

VON TARIK AHMIA

Fernab von den großen Städten, im Nordosten der irischen Insel, wird in diesem Jahr Energiegeschichte geschrieben: Der Schauplatz des Ereignisses liegt an der stürmischen Küste der Grafschaft Donegal, 20 Kilometer von der nordirischen Stadt Derry entfernt. Dort betreibt der Landschaftsarchitekt John Ward auf dem Sorne Hill eine stattliche Windfarm: 16 Windräder produzieren dort Energie für 20.000 Haushalte – oft ist es mehr, als verbraucht werden kann. Dann muss die Leistung der 32-Megawatt-Windfarm gedrosselt werden: Die Leitungen des regionalen Stromnetzes vertragen nicht so viel Strom.

John Ward hat wegen des wirtschaftlichen Verlustes und der Vergeudung erneuerbarer Energie nach Lösungen gesucht – und eine pfiffige Idee gefunden. Als einer der ersten Windparks in Europa wird Sorne Hill in den nächsten Monaten mit einer Art Superbatterie ausgerüstet, die mit den klassischen Nachteilen von Batterien Schluss macht. An der Technik wurde seit Jahrzehnten in Amerika, Japan und Australien geforscht.

„Die Flow-Batterie ist nahezu verschleißfrei, sie entlädt sich nicht und kann den Strom ebenso schnell speichern, wie sie ihn abgibt“, sagt Hugh Sharman, Europa-Manager der kanadischen Entwicklerfirma Firma VRB Power Systems. Seinen Kunden John Ward haben vor allem die ökologischen Vorteile der neuen Batterie überzeugt: „Sie funktioniert bei normaler Raumtemperatur, ist ungiftig, wartungsfrei und vollständig recycelbar“, sagt der Windfarmer. VRB verspricht einen Dauerbetrieb von mindestens 15 Jahren und einen Wirkungsgrad von 70 Prozent, was im Spitzenfeld aller Speichertechnologien liegt.

Der Clou der neuen Technik ist die Art, wie Energie gespeichert wird. „Man könnte die Flow-Batterie auch als flüssige Brennstoffzelle bezeichnen“, sagt Dirk Uwe Sauer, Energiewissenschaftler an der RWTH Aachen. Der „Flow“ der neuen Batterie stammt von den großen Tanks, in deren Flüssigkeit das Metall Vanadium gelöst ist, das beim Erzabbau anfällt. Wird die Speicherflüssigkeit in eine Richtung durch eine Membran gepumpt, geben die geladenen Metallpartikel Energie ab. Wechselt die Richtung, laden sich die Vanadiumteilchen mit dem eingespeisten Windstrom auf.

Interessant ist die Technik für erneuerbare Energien, weil sich ihre Speicherkapazität beliebig ausbauen lässt. „Wer mehr Speicherkapazität braucht, nimmt einen größeren Tank mit Vanadium-Elektrolyt“, sagt Hugh Sharman. Bei Fachleuten gilt die Technik als Hoffnungsträger. „Die Marktreife der Flow-Batterie ist eine wichtige Etappe“, sagt der Aachener Physiker Dirk Uwe Sauer.

John Ward glaubt nicht nur an Klimaschutz und Ökostrom, sondern auch an ein gutes Geschäft. Denn seine 6-Millionen-US-Dollar-Investition soll sich schließlich von selbst finanzieren. Die Rechnung ist einfach: Nachts ist Strom viel billiger als tagsüber. Anstatt den Nachtstrom so gut wie zu verschenken, füllt Ward dann seine neue Batterie auf und verkauft den Strom für gutes Geld zu Tagespreisen. „Selbst mit den Kosten für die Batterie werden wir an jeder Megawattstunde im Großhandel etwa 10 Euro verdienen“, ist sich John Ward sicher.

Es gibt aber noch einen weiteren Grund, wieso der kanadische Stromspeicher zuerst in Irland installiert wird. „Das Land ist energietechnisch schlecht mit anderen Ländern vernetzt“, sagt Hugh Sherman. „Es gibt keine Stromleitungen nach Europa, um Energie zu exportieren.“ Gleichzeitig boomt die Windkraft. Statistisch bläst der Wind in Irland mehr als doppelt so stark wie etwa an der deutschen Nordseeküste. Das Wachstum der Erneuerbaren ist auch politisch gewollt: Innerhalb der nächsten drei Jahre soll der Anteil erneuerbarer Energien in Irland von 5 auf 20 Prozent steigen. Bis zum Jahr 2020 sollen es 30 Prozent sein.

Die Speicher verbessern nicht nur die Ausbeute erneuerbarer Energien, sondern sie helfen auch, das irische Leitungsnetz zu stabilisieren. Windenergie wird sich dank der Pufferung ohne Schwankungen in das Netz einspeisen lassen. Die Stromversorgung wird damit besser planbar, und drohende Engpässe oder Stromspitzen lassen sich besser voraussagen. Denn je mehr erneuerbare Energien eingespeist werden, desto labiler reagiert das Netz. „Ohne Speicher wäre es nicht möglich, 30 Prozent der Stromerzeugung auszugleichen, wenn sie wegen Windstille oder Dunkelheit ausfällt“, sagt Ward.

Deutschland könnte sich angesichts seiner guten stromtechnischen Vernetzung mit seinen Nachbarn entspannt zurücklehnen. Doch wenn nicht schnell etwas geschieht, werden die Kapazitätsprobleme auch uns treffen – verzögert zwar, aber dafür mit ungleich größerer Wucht. Denn auch hierzulande erweist sich das Stromnetz immer mehr als das schwächste Glied in der Versorgungskette. Schon heute gehen Windfarmern nach Berechnungen des Bundesverbandes Windenergie bis zu 15 Prozent ihres Jahresertrages verloren, weil die Turbinen vom Netz genommen werden müssen. „Andernfalls droht eine Überlastung des Netzes“, sagt Dirk Uwe Sauer. Doch es ist schon jetzt klar, dass sich diese Situation weiter verschärfen wird.

„Wenn der Anteil der Wind- und Sonnenenergie über 25 Prozent des Strombedarfs steigt, bekommen wir ein Regelungsproblem“, sagt der Energiewissenschaftler. Erneuerbare Stromquellen mit schwankender Versorgung machen derzeit 7 Prozent der deutschen Stromversorgung aus. Weitere 5 Prozent des deutschen Stroms wurden im vergangen Jahr mit Wasserkraft und Biogas erzeugt. Sie sind für die Stabilität der Stromnetze jedoch unkritisch, weil sie sich konstant einspeisen lassen.

Der Anteil schwankender Stromquellen wird jedoch rapide zunehmen. Schon heute ist Deutschland Windenergie-Weltmeister: 18.685 Windanlagen mit einer Leistung von knapp 21 Gigawatt sind nach Angaben des Bundesverbandes Windenergie derzeit installiert. Weitere 30 Gigawatt sind allein für den deutschen Küstenraum bis 2030 geplant. Wie die enormen Mengen von dort abtransportiert werden sollen, dazu gibt es bislang nur vage Vorstellungen.

So will der Schweizer Anlagenbauer ABB die künftigen Meereswindparks europaweit über tausende Kilometer mit Unterseekabeln vernetzen. Noch in diesem Jahr wird ein 1.000-MW-Kabel von Holland nach Norwegen fertig gestellt. Damit schließen sich die Niederländer an die skandinavischen Pumpspeicherwerke an, die sie mit nicht benötigtem Strom versorgen und sich bei Bedarf wiederholen. Eine durchaus elegante Lösung, denn der Energieverlust liegt bei erträglichen 5 Prozent pro 1.000 Kilometer Unterseekabel.

„Pumpspeicherwerke wären eine schöne Lösung, wenn man sie in Europa noch bauen könnte“, sagt Christoph Gatzen von der Universität Köln. Faktisch seien die gigantischen Stauseen aber keine Option, sagt Gatzen, weil es für solche massiven Umwelteingriffe europaweit kaum nutzbare oder genehmigungsfähige Standorte gebe.

Bei anderen Alternativen sieht es nicht viel sonniger aus. „Das Lieblingskind der Energieplaner in Deutschland sind Druckluftspeichersysteme“, sagt Dirk Uwe Sauer. Nach dem Luftballonprinzip wird hier Luft in großen unterirdischen Kavernen auf 50 bis 100 bar komprimiert und bei Bedarf zur Stromerzeugung wieder abgelassen. Weltweit gibt es nur zwei Versuchsanlagen. Eine wurde vor 15, die andere vor 30 Jahren gebaut. Der bauliche Aufwand ist enorm, der Wirkungsgrad mit etwa 50 Prozent auch „nicht sonderlich toll“, sagt Speicherspezialist Sauer.

Auch die hoch gelobte Wasserstoffzukunft ist für viele Energieexperten noch in sehr weiter Ferne. Denn an ihrem miserablen Wirkungsgrad von etwa 25 Prozent wird sich in absehbarer Zeit nichts ändern: „Wenn Windstrom in Form von Wasserstoff gespeichert werden soll, würden von vier Windrädern drei ausschließlich Verlustenergie liefern“, wettert etwa Ulf Bossel vom European Fuel Cell Forum gegen die Wasserstoffspeicher.

„Bei Netzengpässen ist der Ausbau des Stromnetzes langfristig die ökonomischste Lösung“, meint Gatzen. Das Problem: Er ist sehr zeitaufwändig. „Es dauert aufgrund der komplizierten Genehmigungsverfahren häufig 10 bis 15 Jahre, um eine neue Freileitung zu bauen“, sagt der Wissenschaftler. Kaum auszudenken, wie lange ein Ausbau dauern würde, der sich an den Anforderungen der Windenergie orientieren würde. Denn um die meteorologischen Unterschiede in der Windversorgung nutzen zu können, sind Entfernungen von 2.000 bis 3.000 Kilometern notwendig, stellte das Kasseler Institut für Solare Energieversorgungstechniken fest.

Dazu kommt, dass der Netzausbau von den großen Energiekonzernen nicht unbedingt gewollt ist. Denn sie profitieren beim Stromhandel, weil ihnen die schwache europäische Vernetzung billigere Konkurrenten vom Hals hält. So gibt es bis heute im vermeintlich einheitlichen europäischen Binnenmarkt große Unterschiede bei den nationalen Großhandelspreisen für elektrische Energie. Es gibt einfach nicht genügend Übertragungskapazitäten zwischen den Ländern. Daran hat auch nichts geändert, dass sich die transnationalen Stromflüsse seit Anfang der 90er-Jahre fast verdreifacht haben.

Europas Stromversorger stecken in der Zwickmühle: Der Boom der erneuerbaren Energien wird sich absehbar über Jahrzehnte fortsetzen. Doch schon jetzt sind die Netze den Strommengen kaum gewachsen. Lokale Energiespeichertechniken könnten zumindest eine Zwischenlösung bieten: Sie sind marktreif, schnell einsetzbar, dezentral, entlasten die Stromnetze – und das Klima.

Eine Universallösung gegen den Klimawandel sind die Stromspeicher aber nicht. Verbesserungen wird es nur geben, wenn die Konsumenten ihr Verhalten ändern. „Der Energiebedarf muss sich viel stärker nach dem Energieangebot richten“, sagt der Ökonom und Elektrotechniker Jan Tönnies. „Wir müssen lernen, unsere Wäsche zu waschen, wenn der Wind weht.“ Auch Clemens Triebel, Mitbegründer des Photovoltaik Produzenten Solon AG, sieht darin den Schlüssel: „Durch mehr Effizienz ließe sich so viel Energie einsparen, wie im Laufe von 50 Jahren an erneuerbarer Energie produziert werden kann.“