Die Verteidigung befürchtet Trepaschkins Tod auf Raten

MOSKAU taz ■ Die Geschichte Michail Trepaschkins wäre wohl gänzlich in Vergessenheit geraten, wäre da nicht der Mord an dem ehemaligen Geheimdienstagenten Alexander Litvinenko gewesen. Im November vergangenen Jahres starb der Exilrusse in London an einer Poloniumvergiftung. Die Hintergründe des Attentats sind bislang nicht geklärt. Nicht auszuschließen ist, dass russische Geheimdienstkreise in den Mordfall verwickelt sind.

Aus dem Straflager in Sibirien, wo Trepaschkin eine vierjährige Strafe absitzt, bot der frühere Kollege Litvinenkos den nach Moskau gereisten Scotland-Yard-Ermittlern seine Hilfe an. Doch der Kontakt zu dem seit drei Jahren wegen Geheimnisverrats und illegalen Waffenbesitzes einsitzenden Exoffizier kam – wohl auf Betreiben des Inlandsgeheimdienstes FSB – nicht zustande. Seither wird der Fall Trepaschkin zumindest wieder wahrgenommen. Am heutigen Montag soll ein Gericht im sibirischen Nischni Tagil über die Verlegung des Schwerkranken in ein Lager entscheiden, in dem er ärztlich versorgt werden kann.

Trepaschkin hatte Litvinenko mehrfach vor einem Attentat gewarnt. Die Wege der beiden Agenten kreuzten sich das das erste Mal 1998. Damals berichtete Litvinenko auf einer spektakulären Pressekonferenz in Moskau, sein Arbeitgeber, der Inlandsgeheimdienst, habe ihm aufgetragen, den Oligarchen Boris Beresowski zu ermorden. Trepaschkin saß mit auf dem Podium, auch er hatte Morddrohungen erhalten. Zu viel wusste er über Machenschaften im Innern der Behörde. Nach einem Streit mit Vorgesetzten quittierte er kurz zuvor den Dienst. 20 Jahre hatte er im KGB und dessen Nachfolgeorganisation FSB gedient. Der Familienvater arbeitete daraufhin als Anwalt, auch nachdem 2002 Ermittler die Wohnung durchsucht und Computer und Dokumente mit vertraulichen Informationen der Klienten konfisziert hatten. Der FSB suche nach Hinweisen auf den Aufenthaltsort des flüchtigen Litvinenko, hieß es offiziell. Dass sich dieser nach London abgesetzt hatte, war der Öffentlichkeit indes längst bekannt. Es ging den Fahndern wohl um mehr: Einige Unterlagen, die Trepaschkin nach Dienstende unrechtmäßig an sich genommen hätte, klassifizierte der FSB später als geheim. Dokumente und 20 Patronen, die zwei Jahre später als Beweismittel für die Verurteilung wegen Geheimnisverrats herhalten mussten, seien ihm von den Ermittlern untergeschoben worden, behauptet der Anwalt. Mit der Klage ließ sich der Staat viel Zeit.

Wohl endgültig in Ungnade fiel Trepaschkin, nachdem er zusammen mit Abgeordneten einer unabhängigen Duma-Kommission den Anschlägen auf drei Wohnhäuser in Moskau und Wolgodonsk nachforschte. Bei den Explosionen im Herbst 1999 starben 243 Menschen. Der Kreml vermutete tschetschenische Täter und brach drei Wochen später den zweiten Tschetschenienkrieg vom Zaun.

Die Ermittlungen ergaben zahlreiche Ungereimtheiten. Vor allem führte die Spur der Kommission ins Umfeld des Geheimdienstes, dessen Beteiligung nicht mehr ausgeschlossen werden konnte. Ein Kronzeuge aus dem FSB starb bei einem mysteriösen Autounfall wenig später auf Zypern. Trepaschkin besaß intime Kenntnisse der Sicherheitsstrukturen und muss ziemlich nah an der Klärung gewesen sein. Die Hintermänner der Explosionen sind bis heute nicht bekannt. 2003 wurden zwei vermeintliche Helfershelfer verurteilt. In diesem Prozess sollte Trepaschkin die Interessen von zwei Schwestern vertreten, die Angehörige verloren hatten und als Nebenklägerinnen auftraten. Kurz vor Prozessbeginn wird der Anwalt bei einer Verkehrskontrolle in Moskau festgenommen, und man findet diesmal eine Waffe im Wagen, von der Trepaschkin nichts gewusst haben will. Er wird festgenommen, des illegalen Waffenbesitzes angeklagt und vom Prozess ausgeschlossen. Ein Monat war vergangen, seit er erstmals öffentlich seine Vermutungen geäußert hatte. Wäre er als Verteidiger aufgetreten, hätte das Gericht Ermittlungen gegen den FSB aufnehmen müssen. 2004 verhängt ein Militärgericht die 4-jährige Haftstrafe, die das von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafmaß noch übersteigt.

Seine Anwältin Jelena Lipzer hält beide Anklagen für fabriziert. Dem Häftling gehe es seit langem sehr schlecht, sagt sie. Um ihn nicht angemessen behandeln zu müssen, seien Ärzte gezwungen worden, Unbedenklichkeitsatteste auszustellen. Die Verteidigung befürchtet einen Tod auf Raten.

Einige Mitglieder der Duma-Kommission ereilte bereits ein mysteriöses Schicksal. Den Abgeordneten Schtichotschichin raffte eine rätselhafte Vergiftung hin, sein Kollege Juschenkow wurde erschossen, und der inzwischen verstorbene Publizist Otto Lazis wurde auf offener Straße bewusstlos geschlagen. Die Geschwister und Nebenklägerinnen Morosow flüchteten in die USA, wo sie politisches Asyl erhielten.

KLAUS-HELGE DONATH