Peeping Prater

Zwischen Schaulust und Grenzerfahrung: Ulrike Ottingers „Prater“ (Forum), ein Porträt des Wiener Vergnügungsparks

Dem Gorilla entgegen. Wie eine alterslose Barbarella reckt Veruschka, ein Exfotomodell, ihre Arme in Richtung des mechanisch brüllenden Kunststofftiers. Im alltagshellen Licht des Wiener Prater gedreht, gerät diese Szene in Ulrike Ottingers neuem Film zum Angelpunkt der Fiktionen, die sich Kinogeschichte und Rummelplatz teilen. Die Regisseurin verschränkt diese Fiktionen in einer vielschichtigen Collage von alten Postkarten, Wochenschaumaterial und kulturgeschichtlichen Stimmen. Diese so konstruierte Medialität steht dem perspektivischen Reichtum des Rummelplatzes kaum nach. Es stellt sich die Frage: Was ist künstlicher – die Welt des Spektakels oder die der modellhaften Dokumentation? In „Prater“ wird jede und jedes für jeden zum Schauobjekt: die Attraktionen für die Besucher, die Besucher für die Besucher, aber auch, wie so manche Schuss-Gegenschuss-Einstellung nahe legt, die Puppen und Maschinen füreinander.

Kein Versehen also, wenn der Film in spritzende Rutschpartien über eine wasserführende Berg- und Talbahn unvermittelt die Historie des Aschanti-Dorfes hineinschneidet. 1896 wurde für mehrere Monate ein afrikanisches Dorf im Pratergarten angesiedelt. Exotische Koch-, Liebes-, Erziehungs- oder Toilettengewohnheiten boten sich der kolonialistischen Neugier damit aus nächster Nähe dar. Das habe aber auch den Blick zurück auf die Gesellschaft der Betrachter geworfen, wie der Off-Erzähler in analytischer Diktion vorträgt. Und wenn zwischen Generationenstolz und Wiederaufbaueifer alter Praterdynastien ein ehemaliger Nazi halbverschämt an seine Begeisterung für die einstige Artistenwelt zurückdenkt, während Archivbilder die faschistische Denunziation des Praters als Völkergemisch dokumentieren, tut sich erneut der Abgrund auf hinter jener so fröhlichen Spektakelgesellschaft.

Ulrike Ottinger lässt sich gelassen und nur scheinbar selbstvergessen auf die turbulenten Rhythmus- und Perspektivwechsel des Rummels ein. Genau deswegen vermittelt ihr Film ein Gespür für die vielfältigen Konfigurationen zwischen Schaulust und Grenzerfahrung. Elegant führen das die Kleinwüchsigen oder die ohne Unterleib vor, die eben in solcher körperlichen Besonderheit den Grund zur offensiven Selbstdarstellung gefunden haben – jene Freaks und Verpuppten, wie sie von jeher Ottingers Filme bevölkern. Literarisch formuliert es Elfriede Jelinek, wenn sie, halbversteckt hinter bunten Schautafeln vortragend, daran erinnert, wie sie als Kind der Mutter entwischen konnte, um sich an Kettenkarussellen und „Erlustigungsmaschinen“ dem disziplinierenden Blick anderer ausgesetzt zu fühlen.

In seiner zweiten Hälfte konzentriert sich der Film dann auf namenlose Praterbesucher, die ihre Unauffälligkeit fast obszön überschreiten. So lassen sich ein Mann und eine Frau, im „Ejection Seat“ nebeneinander geschnallt, raketenschnell in den Himmel katapultieren. Die mitgeführte Kamera zeigt dabei die panischen Lustschreie und Durchhaltegesten des Paares. Die vielleicht rührendste Szene gelingt dem Film am Ende, wenn die Kamera, während sie eine Diskoszene beobachtet, erst beiläufig, dann ausdauernd eine autonom tanzende Besucherin fokussiert: Ungeachtet ihrer vergangenen Jugend exaltiert sie sich proletarisch und gibt sich doch gefasst den Blicken anderer preis. RAINER BELLENBAUM

„Prater“. R.: Ulrike Ottinger. Österreich/Deutschland 2007, 104 Min.; heute, 22.15 Uhr, Cubix; 18. 2., 10 Uhr, Arsenal