Fahne als Detail

„Letters from Iwo Jima“ (außer Konkurrenz), Clint Eastwoods Japan-Teil zu „Flags of Our Fathers“

VON BERT REBHANDL

Für die späte Phase des Zweiten Weltkriegs im Pazifik gibt es ein schnoddriges Wort: „Island Hopping“. Wie Inselhüpfen kam den Amerikanern ihr Vordringen in die japanische Einflusszone vor. Die Midway-, die Marshall-, die Marianeninseln waren erobert. Anfang 1945 lag zwischen den amerikanischen Langstreckenbombern und Tokio nur noch der kleine Archipel Nanpo Schoto. Eine seiner Inseln, Iwo Jima, schien am ehesten geeignet für einen Luftstützpunkt.

An diesem Ort entwickelte sich eine der letzten bedeutenden Schlachten des Zweiten Weltkriegs: Von den 20.000 hier stationierten Japanern überlebten nur wenige hundert, die Amerikaner zählten 6.000 Gefallene. Sie trugen aber nicht nur den Sieg davon, sondern auch einen unschätzbaren propagandistischen Triumph: Ein Pressefoto von der Aufrichtung der amerikanischen Flagge auf dem höchsten Punkt von Iwo Jima wurde zur Ikone eines gerechten Kriegs.

Nun erzählt Clint Eastwood mit einem außergewöhnlichen filmischen Doppelwerk diese Geschichte auf eine Weise, die der Wirkkraft des Fotos zumindest in Ansätzen auf gleicher Ebene begegnet: Das Kino stellt sich mit „Flags of Our Fathers“ (vor drei Wochen im Kino angelaufen) und „Letters from Iwo Jima“, der gestern außer Konkurrenz im Wettbewerb der Berlinale lief, in den Dienst einer postnationalen Wahrheit: Es sind immer Individuen, die sich zu dem großen Ganzen einer nationalen Sache verhalten.

Der zweifache Oscar-Preisträger Eastwood unterzieht die Überlieferung einer doppelten Kritik: In „Flags of Our Fathers“ schilderte er die Schlacht von Iwo Jima aus der Perspektive der US-Soldaten, die mehr oder weniger zufällig auf der berühmten Fotografie zu sehen sind, als Kritik an der ideologischen Ausbeutung des Fotomotivs. Dabei hat er es aber nicht belassen, sondern mit „Letters from Iwo Jima“ die gleiche Geschichte gleich noch einmal erzählt – dieses Mal jedoch aus der japanischen Perspektive. Im Zuge der Recherchen stellte sich heraus, dass General Tadamishi Kuribayashi (gespielt von Ken Watanabe, im Westen vor allem aus „The Last Samurai“ bekannt) nicht nur vor dem Krieg in den USA gewesen, sondern auch ein Bewunderer der amerikanischen Kultur geworden war. Eastwood nimmt diesen Umstand als Metapher für die tragischen Ironien des Kriegs. Als der General auf der Insel eintrifft, heben die Soldaten noch Schützengräben am Strand aus. Auf neuen Befehl sollen sie nun Stollen in den Berg treiben, auch wenn alle wissen, dass sie damit nur unwesentlich länger durchhalten werden.

Für die japanische Seite war Iwo Jima in mehrfacher Hinsicht eine aussichtslose Sache: Nicht nur die militärische Unterlegenheit spielte eine Rolle, auch das rigide Ethos der Ehre in der Tenno-Armee machte konzertierte Anstrengungen fast unmöglich – die Soldaten nahmen sich eher das Leben, als dass sie sich strategisch zurückgezogen hätten. Eastwood ergänzt die Perspektive des Generals im Film durch die eines einfachen Soldaten. Um diese beiden zentralen Figuren organisiert er ein ganzes Panorama des Kriegs, mit aufschlussreichen Rückblenden in die Vorkriegsgesellschaft und dem signifikant verschobenen ikonologischen Zentrum von „Flags of Our Fathers“: Die amerikanische Flagge weht hier nur in einer Szene im Wind, und zwar als winziges Detail am Horizont, weil die japanischen Soldaten zu diesem Zeitpunkt schon so weit zurückgeworfen waren. Es zeugt vom Selbstbewusstsein Clint Eastwoods, dass er vielleicht die ersten beiden Kriegsfilme in weltbürgerlicher Absicht gedreht hat. Dass beide von einem US-Amerikaner gemacht wurden, ist dabei selbst ein fernes Echo jenes Sieges im Jahr 1945.

„Letters from Iwo Jima“, Regie: Clint Eastwood. Mit Ken Watanabe, Kazunari Ninomiya. USA 2006, 141 Min. Heute, 12. 2., 15 Uhr, Urania; ebenfalls heute, 22.30 Uhr, International