Mammutprozess mit viel Symbolwert

Ein Gericht in Paris soll klären, wer die Schuld an der Ölkatastrophe nach der Havarie des Tankers „Erika“ hatte

PARIS taz ■ Der Tatbestand ist im französischen Gesetzbuch nicht vorgesehen: „Ökologischer Schaden“. Dennoch befassen sich seit gestern in Paris vier Richter damit. Es ist eine Premiere in der französischen Justizgeschichte. In dem Prozess, der voraussichtlich bis Juni dauern wird, soll geklärt werden, wer für die schwarze Pest 1999/2000 durch die Havarie des Öltankers „Erika“ verantwortlich ist.

Als mutmaßlich Schuldige gelten viele: von dem französischen Unternehmen Total, das den rostigen Tanker gechartert hatte, über den italienischen Eigentümer Giuseppe Savaresi, der sich hinter liberianischen und panamaischen Briefkastenunternehmen versteckte, den Staat Malta, dessen Fahne über dem Tanker flatterte, den Kapitän, der aus einem indischen Wüstenstaat stammt, bis hin zu der italienischen Kontrollgesellschaft Rina, die dem Tanker trotz Rissen in der Brücke und Rost im Boden eine Fahrerlaubnis erteilte. Als die „Erika“ am 12. Dezember 1999 vor der bretonischen Küste in zwei Teile zerbrach, die tags darauf in 200 Meter Tiefe auf den Meeresgrund sanken, begannen gegenseitige Schuldzuweisungen – ein Spiel, das fester Bestandteil der Globalisierung in der Seefahrt ist.

Unterdessen verseuchte das Öl 400 Küstenkilometer in Frankreich. Mindestens 150.000 Seevögel sowie ungezählte Fische und andere Lebewesen im Meer verendeten. Die Verschmutzung brachte Dutzende von Gemeinden um ihre Einnahmequellen Tourismus, Fischerei und Muschelzucht.

Der internationale Entschädigungsfonds Fipol hat den Opfern der Katastrophe seither 128 Millionen Euro bezahlt. Der tatsächliche Schaden liegt nach Schätzungen zwischen 400 Millionen und einer Milliarde Euro.

Für den Ölkonzern Total war 1999 ein Rekordjahr, in dem es sensationelle Renditen gab, die Fusion mit Elf gelang und Vorstandschef Thierry Desmarest zum „Manager des Jahres“ gewählt wurde. Sprecher behaupten seit der Katastrophe, man habe nichts über den Zustand der „Erika“ gewusst. Der Konzern hatte den 25 Jahre alten Tanker, der von den Ölgesellschaften BP und Shell wegen seines Zustands nicht mehr gechartert wurde, mit mehr als 30.000 Tonnen Öl beladen. Die Kontrollgesellschaft Rina versucht sich damit herauszureden, dass sie der Erika nur eine Fahrerlaubnis für einen weiteren Monat erstellt hatte.

Als Einziger musste der indische Kapitän ein paar Tage in ein Gefängnis. Ihm wurde vorgeworfen, dass er nicht rechtzeitig das ganze Ausmaß der Havarie an die französischen Hafenbehörden gemeldet hatte. Zur Verhandlung reist er nicht an. Die anderen Angeklagten riskieren bloß Geldbußen.

Der Prozess hat dennoch Symbolwert. In der bretonischen Hafenstadt Brest hofft die Bürgerinitiative „Mor Glaz“, dass er auch politische Konsequenzen haben wird. Die BI, die das extreme Lohn- und Sicherheitsdumping in der internationalen Seefahrt anprangert, fordert „echte Gesetze, starke Staaten und Kontrollen und wirkliche Sanktionen“.

DOROTHEA HAHN