Ende der Anarchie

Kein deutsches Reinheitsgebot: Die EU-Kultusminister einigen sich mit der EU-Kommission darauf, Produkt-Platzierungen weitgehend freizugeben

AUS BERLIN STEFFEN GRIMBERG

Der deutschen Niederlage versuchte Medienstaatsminister Bernd Neumann (CDU) nach dem informellen Treffen der europäischen Medien- und Kulturminister in Berlin immerhin verbal noch etwas abzugewinnen: Es sei doch ein Erfolg, dass Product Placement im Fernsehen auch künftig offiziell verboten bleibe – auch wenn man es leider nicht habe verhindern können.

Was sich zunächst anhört wie ein Widerspruch in sich, ist in Wahrheit höhere europäische Diplomatie und Gesichtswahrung für die deutsche EU-Präsidentschaft. Denn die neue EU-Richtlinie für Audiovisuelle Medien, die die bisherige Fernsehrichtlinie ablöst, bleibt formal tatsächlich beim grundsätzlichen Produktplatzierungs-Verbot. Dafür lässt sie großzügige Ausnahmen zu: Wirklich tabu bleiben nur Nachrichten- und Informationsformate sowie das Kinderprogramm. Für den größten Teil des TV-Angebots – Unterhaltung, Show, Sport, Serien und Fernsehfilme – ist gekennzeichnetes Product Placement aber künftig erlaubt.

Damit hat sich die Linie von EU-Medienkommissarin Viviane Reding auch im von den nationalen FachministerInnen besetzten Rat durchgesetzt. „Die öffentlich-rechtlichen Sender, die Bundesregierung und die Bundesländer waren ja von Anfang für ein komplettes Produktplatzierungs-Verbot“, so Neumann, man habe aber „einsehen müssen, dass das nicht mehrheitsfähig war“. Auch das Europarlament hatte im Dezember bereits dem Formelkompromiss zugestimmt. Sie selbst sei zuversichtlich, dass die Richtlinie im Mai verabschiedet werden könne, sagte Reding in Berlin. Differenzen zwischen Rat und Parlament gebe es schließlich nur noch in Details: So genügt den MinisterInnen eine Kennzeichnung von durch Product Placement gesponserten Programmen jeweils am Anfang und am Ende. Das Parlament favorisiert dagegen die zusätzliche Einblendungen eines PP-Hinweises während der Sendung – und das alle 20 Minuten. Unsinn, argumentierte Neumann: Dadurch würde die Werbewirkung schließlich noch erhöht.

Die PP-Debatte, die außerhalb Deutschlands längst nicht so erbittert geführt wird, soll nach dem Willen der Politik zu mehr Wettbewerbsgleichheit auf dem globalen TV-Markt führen. Schließlich ist Product Placement im wichtigsten Fernsehland der Welt, den USA, gang und gäbe. „Ich finde Produktplatzierung ungemein wichtig für die Finanzierung der Produktionsindustrie“, hatte die Medienkommissarin bereits vor dem Berliner Treffen argumentiert. Doch in der EU herrsche bislang „völlige Anarchie“. Das zumindest stimmt: Lediglich in Österreich gibt es eine entsprechende gesetzliche Regelung, die Product Placement in TV-Serien und Filmen zulässt. Verbotene Schleichwerbung fand sich dagegen selbst bei so honorigen öffentlich-rechtlichen Sendern wie ARD („Marienhof“) und ZDF („Volle Kanne“). Nach Sicht der EU-Kommission leiden Zuschauer und Verbraucher denn auch viel mehr unter dieser Grauzone als bei den künftigen klaren Spielregeln.

Die Privatsender, bei denen nach Meinung von Product-Placement-Kritikern die künftige weitgehende Freigabe Freudentaumel auslösen müsste, geben sich allerdings betont gelassen: Produktplatzierung ist für sie alles andere als das Hauptthema, ihnen gehe es bei der Fernsehrichtlinie viel mehr um die Freigabe der engen Spielregeln bei der klassischen TV-Werbung. Doch hier bleibt die EU hart.

Und den wegen der PP-Freigabe besonders erzürnten Öffentlich-Rechtlichen schrieb Neumann ins Stammbuch: „Wenn ihr das Verbot so engagiert fordert, dann macht es doch.“ Ein Verzicht auf Produktplatzierung könne ja künftig Markenzeichen von ARD und ZDF sein. – Wie sich das nun wieder mit der Wettbewerbsgleichheit verträgt, verriet der Medienstaatsminister leider nicht. Dabei wäre das mal ein echter Widerspruch.