Feierabend in der Hölle

Jennifer Lopez schafft, was andere nicht schafften: „Bordertown“ (Wettbewerb) erzählt die Geschichte der ermordeten Frauen von Mexiko und bedient sich Standards des Zombiefilms

Wenn eine millionenschwere Schauspielerin sich den Arbeiterinnenkittel überzieht, um als eine Art heilige Johanna der Entrechteten aufzutreten, mag man davon halten, was man will. Tatsache bleibt, dass ohne die Zugkraft und das Engagement von Jennifer Lopez – ganz zu schweigen von den Produktionsdollars, die sie aus eigener Tasche beigesteuert hat – „Bordertown“ es aller Wahrscheinlichkeit nach nie auf die Leinwände, geschweige denn in den Wettbewerb der Berlinale geschafft hätte. Andere Filme haben ebenfalls versucht, die wahre Geschichte der ermordeten und missbrauchten Frauen von Mexiko zu erzählen, nur eben ohne prominentes Gesicht. Sie sind meist sang- und klanglos untergegangen.

An Fakten oder Vermutungen bringt Gregory Navas Politthriller wenig Neues zutage. Rund 400 Fälle von entführten, misshandelten und anschließend getöteten jungen Frauen hat amnesty international in den nordmexikanischen Grenzstädten Ciudad Juárez und Chihuaha seit 1993 dokumentiert. Die Dunkelziffer, so darf vermutet werden, liegt um einiges höher.

Die meisten der Opfer waren Arbeiterinnen in sogenannten Maquiladoras, Fabriken, in denen die Arbeitsbedingungen so sind, wie es sich der globalisierte Kapitalismus wünscht. Im Film sieht man, wie sie in neonbeleuchteten Hallen Flachbildschirme für westliche Kundschaft zusammenstöpseln, während eine Stimme vom Band in Endlosschleife „Schneller... schneller …“ schnarrt. In Park Chan-wooks „Ich bin ein Cyborg, aber das macht nichts“ führt dasselbe Bild unmittelbar in den Wahnsinn, allerdings in einen der verspielten, surrealen Art, wo Großmütter durch die Luft fliegen. In „Bordertown“ öffnen sich die Fabriktore nach Feierabend geradewegs in die Hölle.

Um seine Botschaft ans Publikum zu bringen, ist der Film in der Wahl seiner Mittel nicht eben zimperlich. Seine stärksten Bilder findet Nava, wenn er die Genregrenzen des Politthrillers für kurze Momente außer Kraft setzt und Anleihen an der Ikonografie des Horrorkinos nimmt. Lopez, die als ehrgeizige Journalistin auf der Suche nach einer guten Story nachts auf einem Schrottplatz durch eine Luke im Boden plumpst und sich auf einem Berg halbverwester Frauenleichen wiederfindet. Eva (Maya Zapata), von ihren Peinigern für tot zurückgelassen, die sich aus ihrem eigenen Grab im Wüstensand befreit. Der ausgestreckte Arm, der die Erdkruste durchbricht, gehört schon seit langem zu den Standards des Zombiefilms.

In solcher, wohl unfreiwilliger Überzeichnung betreibt der Film eine Art hysterischer Mimikry an den wirklichen Terror der Verhältnisse. Oder anders: Wo das Drehbuch uns einfach zu viel anbietet – eine unaufgearbeitete Liebesaffäre, die Identitäskrise einer Karrierefrau, die perversen Geheimnisse der High-Society –, kann das Kinobild einen Überschuss produzieren, der in seiner Phantastik die Realität des Leidens der Frauen von Juárez besser aufhebt und einer Öffentlichkeit ins Gedächtnis nagelt als alle noch so wohlgemeinten Reden.

MARKUS MALTZ

„Bordertown“. Regie: Gregory Nava. Mit Jennifer Lopez, Maya Zapata, Antonio Banderas. USA 2006, 112 Min., 16. 2., 15 + 23 Uhr, Urania; 18. 2., 18.30 Uhr, Urania