Pointen sitzen, Zeiten springen

Tolldreiste Vergangenheitsbewältigung: In Jiří Menzels Schelmenstreich „Ich habe den englischen König bedient“ (Wettbewerb) geraten die Schrecken der Nazizeit ins Wabern

Julia Jentsch hat den Führer fest im Blick, er hängt an der Wand in silbrig schimmerndem Licht, während sie von Ivan Barney, dem tschechischen Simplicissimus, begattet wird. Es ist die Stunde nach der Erhebung Prags zur Stadt des Großdeutschen Reiches. Eine rassereine Zeugung soll es werden für das großartige Hitler-Europa. Hitlers Gesicht überblendet sich auf Julia, und sie strahlt, wie wir sie kennen, gläubig wie Sophie Scholl. Das war ihre große Rolle gewesen – in einem deutschen Film der Vergangenheitsbewältigung.

Eine Erlösung ist es, sie jetzt in dieser tschechoslowakischen Koproduktion, diesem Schelmenstreich über die Vor- und die Nachkriegszeit der Tschechoslowakei zu sehen. Ja, genauso funktioniert es, tolldreist das Thema angehen, prall, unmittelbar, mit drastischem Humor. Die Pointen sitzen, die Frauen entblößen sich, über allem liegt der Schleier der Poesie (’tschuldigung, das muss ich jetzt so schreiben), und unterschwellig wabern die Schrecken, die wir kennen.

Jiří Menzel, im nächsten Jahr wird er 70, hat den Film nach dem Roman von Bohumil Hrabal gedreht. Die beiden sind unschlagbar. Also bitte all unsere deutschen Bemühungen vergessen und endlich, meinetwegen mit schlechtem Gewissen – ich schwöre, es geht, zumindest für die Dauer der Projektion –, über Nazis lachen, über Julia Jentsch im sudetendeutschen Lodenkostüm, über Jan, den Glückspilz, dem jahrzehntelang alles zum Glück wird, auch wenn es einwandfrei das Unglück ist.

Es sind die Körper, die sich zum Anfassen nah in Szene setzen. Die Bewegungen gehen gern ins Tänzerische über. Das passt gut zum Servieren im Jugendstilhotel – im Gegensatz zum Einmarsch der Waffen-SS in Prag und zu den plakativen Hakenkreuzen an den Fassaden.

Fürs Nachdenken sorgt die chronologische Brechung. Jan, der Julia doch so sehr liebte und sich zum Deutschen machen ließ („Herr Dieti“), findet sich nach 15 Jahren Nachkriegsknast in einer böhmischen Berghütte wieder, verwahrlost, kaputt, die Deutschen haben wir vertrieben, und wir hätten sie für den Wiederaufbau gut gebrauchen können. – Ja, solche Sätze gibt es auch. Jan besorgt sich große Spiegel aus zurückgelassenem Hausrat. Die neuen Besitzer mögen nicht reinkucken. Sie befürchten, dass sie dann Gesichter der Deutschen sehen. Also installiert Jan ein Spiegelkabinett. Was ihm entgegensieht, ist er selbst in verschiedenen Lebensphasen – immer andere Jans.

Der Film springt zwischen den Zeiten, den Identitäten hin und her. Wenn in diesem Film reflektiert wird, dann ist das, bitte schön, wörtlich zu nehmen. Worte werden entbehrlich, na ja, für die Pointen taugen sie noch. Es ist Lust und Angst, sich darauf einzulassen. Dass man die Luft zwischen den Zähnen einziehen muss, wenn an Tabus gerührt wird, ist nichts anderes als körperliche Beteiligung am Film.

„Ich habe den englischen König bedient“ wäre witzig genug für den Goldenen Bären. Jiří Menzel hatte ihn schon 1970 bekommen für die Hrabal-Verfilmung „Lerchen am Faden“. Den Oscar gab es 1968 für „Liebe nach Fahrplan“ (wieder nach einem Roman von Hrabal). Das war ein Film für eine ganze (meine) Generation, die nicht immer die Lippen zusammenkneifen wollte, wenn’s um höhere Interessen ging. Jetzt also wieder der naiv-groteske und goldige Blick von unten auf all das Bedeutende und Wichtige da oben. Ist doch wahr. DIETRICH KUHLBRODT

„Ich habe den englischen König bedient“. Regie: Jiří Menzel. Mit Ivan Barney, Oldřich Kaiser, Julia Jentsch. Tschechische Republik/Slowakische Republik 2006, 118 Min. Heute, 9.30 Uhr Urania, 20 Uhr International, 23.30 Uhr Urania