Frühstück und Freischwimmer garantiert

Mit „Elternverträgen“ versuchen Modellschulen die Integration zu fördern. Erste Erfahrungen sind positiv: In den allermeisten Fällen würden Abmachungen eingehalten, sagt ein Rektor. Schulen mit hohem Migrantenanteil haben plötzlich großen Zulauf

VON JAN GEORG PLAVEC

Gerd Altenkamp hat zwei stressige Wochen hinter sich. Die Eltern liefen seiner Gesamtschule am Berger Feld in Gelsenkirchen auch in der diesjährigen Anmeldephase die Türen ein; jeden seiner 168 Fünftklässler-Plätze hätte er doppelt besetzen können. Und das an einer Schule, die auch wegen ihres Ausländeranteils von über 50 Prozent lange als Problemschule verschrieen war.

„Etliche unserer Schüler sind mit ihren Eltern vor dem Krieg geflohen“, sagt der Schulleiter, „wenn sie Mitschüler in Tarnhosen sehen, weckt das Gefühle“ – und Aggressionen. Erinnerungen an den Krieg sind nicht gerade optimal für ein friedliches Zusammenleben auf dem Schulhof. Auch Eltern trugen zu den Problemen bei. Viele schickten ihre Kinder ohne Frühstück in die Schule. Folge: Kohldampf, Konzentrationsmangel. „So etwas erschwert die pädagogische Arbeit ungemein“, weiß Altenkamp.

Diese Probleme gehören an Altenkamps Schule aber der Vergangenheit an. Dank des sogenannten Elternvertrages. Die Idee: Bevor ein Kind am Berger Feld die fünfte Klasse besucht, finden Gespräche zwischen Schulleitung und Eltern statt, bei denen die Pädagogen über bestimmte Pflichten aufklären – ordentliche Kleidung etwa und ein Frühstück am Morgen, ein regelmäßiger Blick ins Aufgaben-, Eltern- und Notenheft. Den „Vertrag“ unterschreiben beide Seiten. Er ist zwar nicht rechtsverbindlich und einige hartnäckige Fälle machen trotzdem noch Ärger. „Die bekommt man auch mit einem Vertrag nicht in den Griff“, sagt Altenkamp, „aber in den allermeisten Fällen halten sich Eltern und Kinder an die Abmachungen.“ Bei Konflikten helfe da, wo früher Schulpsychologen im Einsatz waren, ein schlichtes Gespräch, in dem der Rektor auf den Kontrakt verweist.

Elternverträge gibt es in Deutschland aber nur an wenigen Modellschulen; gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse fehlen bislang. Dabei ist der Ansatz auch für Bildungsforscher vielversprechend: „So ein Vertrag hat große symbolische Bedeutung“, weiß Heinz-Günter Holtappels vom Institut für Schulentwicklungsforschung in Dortmund. „In einer pluralen Gesellschaft machen sich manche Eltern über bestimmte Dinge keine Gedanken, da muss man einiges konkretisieren.“ Morgens frühstücken zum Beispiel. „So ein Vertrag nennt Pflichten, muss Eltern aber auch sagen, was ihre Rechte sind“, fordert der Pädagoge. Etwa bei der Lernbetreuung gebe es erhebliche Defizite. „Elternsprechtage sind viel zu oberflächlich. Eltern sollen eine Beratung einfordern können.“ Verträge schafften jedenfalls „ein Stück Verbindlichkeit“, auch in Bezug auf Schimmunterricht und Schullandheim.

Genau mit dieser Begründung führte die Bertha-von-Suttner-Realschule in Stuttgart zum Elternverträge ein. „Wir wollen nicht mehr darüber diskutieren, ob ein Schüler Lust auf die Klassenfahrt hat oder nicht“, argumentiert Schulleiterin Edith Gerhardy. Auch an ihrer Schule hat die Hälfte der Schüler Migrationshintergrund – mit den entsprechenden Problemen. Muslimische Väter etwa ließen ihre Töchter mit Hinweis auf die Religion oft nur im Ganzkörper-Tauchanzug zum Schwimmunterricht, wenn überhaupt. Auch das regelt der Elternvertrag: Schwimmunterricht ist Pflicht, religiöse Bedenken hin oder her.

Dabei, berichtet das Rektorat, ist die einzige Neuerung, „dass wir uns vor der Anmeldung mit den Eltern eine Viertelstunde hinsetzen und ein Gespräch führen. Bisher kamen sie einfach mit der Grundschulempfehlung ihrer Kinder und haben die Anmeldung unterschrieben.“

Ob man für Elternverträge, wie von der baden-württembergischen FDP gefordert, ein Gesetz braucht, ist umstritten. „Ein solcher Vertrag kann nur Schulrecht konkretisieren“, sagt Bildungsexperte Holtappels, also ein abstraktes Gesetz in konkrete Anforderungen übersetzen. Verbindliche Verträge hält er für problematisch: „Man kann einen Schüler, der dem Vertrag zuwiderhandelt, nicht einfach von der Schule werfen.“ Von Zwang will auch der Gelsenkirchener Rektor Altenkamp nichts wissen. „Wir führen ja nicht ein, dass Eltern und Kinder paramilitärisch strammstehen.“ Vielmehr gehe es „einfach darum, dass das Sozialsystem Schule funktioniert“.