Das Land, in dem das Öl sprudelt

AUS BAKU MICHAEL STRECK

Baukräne und Betonskelette ragen in den hohen sonnigen Himmel. Neu gebaute Bürotürme und Apartmentblöcke dominieren die Silhouette von Baku. Im zähflüssigen Feierabendverkehr der aserbaidschanischen Hauptstadt drängen sich zwischen alten russischen Karossen immer mehr neue japanische Geländewagen und schwarze BMW-Limousinen. Die Geschäfte in den Einkaufsstraßen sind längst von den globalen Marken erobert. Während andere Gebiete der Kaukasusregion im Stillstand verharren, boomt Baku. Um stolze 19 Prozent ist die Wirtschaft des Landes 2005, binnen nur eines Jahres, gewachsen. Quell dieses rasanten Wachstums ist das Öl, das im Kaspischen Meer gefördert wird.

Seit 140 Jahren wird in Aserbaidschan nach Öl gebohrt. Früher, unter sowjetischer Herrschaft, flossen die Gewinne direkt nach Moskau. Erst seit der Unabhängigkeit 1991 kann das Land selbst über seine Öleinnahmen verfügen. 70 Prozent der Exportgelder stammen aus dem Öl- und Gasgeschäft. Ihr Ressourcenreichtum macht die Kaukasusrepublik ungemein attraktiv für Amerika und Europa, hängt man doch noch immer viel zu sehr am Tropf von Lieferungen aus den Krisenregionen des Nahen und Mittleren Ostens.

Braver Öllieferant

Aserbaidschan spielt dabei gern die Rolle als zuverlässiger und dem Westen wohlgesinnter Ölproduzent. „Bei uns gibt es Nicht-OPEC- und nichtarabisches Öl“, empfiehlt sich Elschad Nassirow, Vizepräsident des staatlichen Ölunternehmens Socar. Das bislang ambitionierteste und strategisch wichtigste Projekt ist die Ölpipeline von Baku zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan, gebaut von einem Firmenkonsortium westlicher Ölunternehmen. Kostenpunkt: 4 Milliarden Dollar. Seit Juni vergangenen Jahres wird täglich eine Million Barrel durch die 1.300 Kilometer lange Trasse gepumpt. Ökonomen schätzen, dass die Einnahmen allein aus diesem Projekt das Bruttosozialprodukt des Landes bis 2010 verdoppeln werden.

Doch was profitabel ist für den Westen und die Ölkonzerne, ist bislang kein Segen für die Bevölkerung. Die Regierung zeigt wenig Elan, die Wirtschaft zu diversifizieren, obwohl die Ölvorkommen wahrscheinlich nach nur 30 bis 45 Jahren erschöpft sein werden. Wirtschaftssektoren ohne Verbindungen zur Ölindustrie sind in den letzten Jahren unaufhaltsam geschrumpft, Armut ist ein drängendes Problem – laut Angaben der Weltbank leben 49 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze.

Wer das Zentrum Bakus verlässt, fährt durch marode Plattenbausiedlungen ohne Straßenbeleuchtung und Müllentsorgung. Der Ölreichtum hat bislang nicht dazu geführt, den Wohlstand aller zu heben. Er führt auch nicht dazu, dass langfristig in die Modernisierung der Volkswirtschaft und die soziale Absicherung investiert wird. Man steckt das Geld lieber weiter in den Ausbau der Ölindustrie.

Je mehr Erdöl exportiert wird, desto stärker wird auch die heimische Währung aufgewertet. In der Folge sind die Preise gestiegen, bei einem Pro-Kopf-Jahreseinkommen von 1.200 Dollar wird jeder Tag zum Überlebenskampf. Selbst Außenminister Elmar Bakichanow muss einräumen: „Hier haben wir in der Tat ein Problem.“

Immerhin hat die Regierung 1999 nach dem Vorbild Norwegens und Alaskas einen staatlichen Ölfonds eingerichtet, um Exporterlöse zur Armutsbekämpfung, für den Ausbau von Infrastruktur und Schulen zurückzulegen. Ende 2006 betrug die Summe 3,6 Milliarden Dollar. Die Regierung verpflichtete sich sogar im Rahmen einer „Extractive Industries Transparancy Initiative“, Ein- und Ausgaben des Fonds offenzulegen und von einem internationalen Team überwachen zu lassen.

Wofür das Geld ausgegeben werde, sei auch weitgehend nachvollziehbar, sagt Rena Safaralijewa von Transparency Azerbaijan. Das eigentliche Problem sei, dass allein die Regierung über die Ausgaben entscheide. Es gebe keine parlamentarische oder zivilgesellschaftliche Mitsprache. Werde Geld zweckentfremdet, lasse sich das zwar feststellen, werde aber nicht geahndet.

Etwas wie Demokratur

Die Opposition wirft der Regierung überdies vor, die Gewinne aus dem Ölgeschäft zu nutzen, um das autokratische Regime von Präsident Ilham Alijew zu stützen. Immerhin landen 40 Prozent der Öleinnahmen direkt in der Staatskasse. Polizisten und Soldaten werden – verglichen mit anderen Staatsdienern – gut entlohnt in Aserbaidschan. Vor den letzten Wahlen wurde ihr Gehalt gleich siebenmal erhöht. So soll vermieden werden, dass es dem Land wie seinem Nachbarn Georgien ergeht. Dort liefen bei der „Rosenrevolution“ 2003 die Sicherheitskräfte zu den Demonstranten über.

Oppositionsführer Isa Gambar, Vorsitzender der Gerechtigkeitspartei, bezeichnet die Regierung seines Landes als „kriminell und korrupt“. Für ihn ist das System weder eine Demokratie noch eine Diktatur. Er wirft dem Präsidenten vor, KGB-Methoden zu benutzen, um Regierungskritiker einzuschüchtern. Die Justiz sei der verlängerte Arm des Präsidenten, Richter würden von ihm eingesetzt, die Presse sei weitgehend gleichgeschaltet.

Auch von freier Marktwirtschaft ist Aserbaidschan weit entfernt. Es herrsche ein „Apparatschik-Kapitalismus“, meint Ali Kerimli von der oppositionellen Volksfront. Der Familienclan Alijews kontrolliere die Schlüsselpositionen der Wirtschaft. Auf dem Korruptionsindex 2006 von Trancparency International, der 163 Staaten auflistet, rangiert das Land weit vorn auf Platz 130.

„Wir versuchen nicht, das Korruptionsproblem zu vertuschen“, sagt der Außenminister. Wie er reden Regierungsvertreter freimütig und aufgeklärt über Demokratiedefizite und Wirtschaftsprobleme. Sie haben sich eine gefällige Rhetorik antrainiert, darauf ausgerichtet, skeptische Politiker aus dem Westen zu besänftigen. Denn man braucht Europa und Amerika: als Schutzpatron gegen das übermächtige Russland und den Iran, den ungeliebten Konkurrenten um die Ölfelder im Kaspischen Meer. Auch der Westen braucht Aserbaidschan: als zuverlässigen Öllieferanten, Vorbild eines überwiegend säkularen Staates trotz muslimischer Prägung und damit Brückenkopf in den Mittleren Osten.

Mitte November letzten Jahres haben denn auch Aserbaidschan und die EU einen Aktionsplan unterzeichnet. Er soll „die Angleichung der aserbaidschanischen Rechtsvorschriften und Standards an jene der EU voranbringen und die weitere wirtschaftliche Integration fördern“. Ein geduldiges Papier, sagen Menschenrechtler und Oppositionelle in Baku. Ihr Vorwurf: Die Demokratie sei für den Westen zweitrangig, Hauptsache, das Land sei stabil und die Energieversorgung gesichert.

Ein wackliger Frieden

Doch der Frieden in der Region ist fragil. Die Ölgewinne erlauben es der Regierung, militärisch aufzurüsten. Schon wird laut darüber nachgedacht, den Konflikt um die abtrünnige und von Armenien besetzte Region Berg-Karabach durch einen Krieg zu lösen. Die neue Ölpipeline in die Türkei führt nur knapp an der Waffenstillstandslinie zu Armenien vorbei, immer wieder kommt es dort zu Schusswechseln. Vielleicht, glauben Beobachter, ist allerdings gerade die Pipeline Garant für einen Frieden, da der Druck westlicher Ölkonzerne und ihrer Regierungen auf Baku zu groß sein dürfte, um in einen Krieg zu ziehen.

Regimegegner erhoffen sich jedoch auch mehr politischen Druck in Sachen Menschenrechte, besonders von Europa. Nur so sei demokratischer Wandel möglich, sagt Leila Yunus vom Institute of Peace and Democracy in Baku. Die Angst vor staatlicher Gewalt sei immer noch groß. Erst wenn sich die Regierung scheue, die Armee gegen Demonstranten einzusetzen, könne man die Bevölkerung stärker zu Protesten ermuntern. Ohne diese Aussicht würden junge und gutausgebildete Menschen ihr Glück lieber im Ausland suchen. „Wer kann, der geht.“