Wo sind die Schwestern?

Immer nur Kindersoldaten und Klitorisbeschneidung: Verdient die Causa Mehari die mediale Aufmerksamkeit?

Senait Meharis Autobiografie „Feuerherz“ erschien 2004 und schilderte ihr Schicksal als eritreische Kindersoldatin. Das Buch verkaufte über 400.000 Exemplare und verwandelte Mehari von einer Popsängerin in eine Botschafterin gegen Kindersoldaten. Nun werfen ihr andere Eritreer „Lügen“ vor (taz vom 13. 2.). Mehari sei keine Kindersoldatin gewesen, das geschilderte Ausbildungscamp in Wahrheit eine Schule. Meharis Manager Jobst-Henning Neermann hatte große Aufklärung angekündigt. Auf Nachfrage der taz sagte er, die sei mit einem Interview in der Berliner Zeitung erfolgt.

Wirklich? Darin besteht Mehari nun wieder darauf, dass sie Kindersoldatin war. Das hatte sie gegenüber dem TV-Magazin „Zapp“ (NDR) relativiert, welches die Lüge-Vorwürfe publizierte. Neue Fakten gibt es weiter keine (auch von „Zapp“ nicht), Zeugen pro Mehari sind keine aufgetaucht. Ihre Schwestern, die auch Kindersoldaten gewesen sein sollen, schweigen weiter.

Wie war es nun, als die eritreischen Befreiungsbewegungen EPLF (am Ende Sieger) und ELF (Verlierer, mit Mehari) Anfang der 80er gleichzeitig gegeneinander und gegen den äthiopischen Unterdrücker kämpften: Schule oder Camp? Zwischenergebnis: Es war so – oder anders. Die sogenannten Zero-Schools nahmen Kinder ab null Jahren auf. Dahinter stand vor allem bei der EPLF die sozialistische Idee einer grundlegenden Transformation der Gesellschaft. Paare, bei denen Mann wie Frau kämpften, gaben ihre Kinder ab, um sie zu „neuen Menschen“ ausbilden zu lassen. Annette Weber von der Stiftung Wissenschaft und Politik hat viele Interviews mit eritreischen Kämpferinnen geführt. Als Regel gelte: Wer bei EPLF oder ELF zur „Schule“ ging, der kämpfte auch, wenn auch nicht notwendigerweise an der Front. „Es gibt Beweise, dass sowohl bei EPLF als auch ELF Kinder gekämpft haben“, sagte Weber der taz. Sie arbeitet seit 1996 in der Region und sagt, sie kenne nicht ein einziges Land, in dem es keine Kindersoldaten gab. Allerdings hat sich der Diskurs in den letzten Jahren bekanntlich sehr verändert. Ende der 80er war der Befreiungskampf in Eritrea gegen Haile Selassies Äthiopien und speziell die heroische Kämpferin eines der großen positiv aufgeladenen Themen unter den Linken in Deutschland. Diese sympathisierende Sicht gibt es heute auch unter Linken kaum noch. Deshalb, sagt Weber, sei man vorsichtiger geworden mit der Transparenz seiner Vergangenheit. Etwa, wenn man killende Kommandantin gewesen sein sollte, wie Mehari das über eine heute in Deutschland lebende Eritreerin behauptet.

Eva-Maria Bruchhaus beschäftigt sich seit Ende der 60er mit Eritrea und hat 1994 bis 1997 die Reintegration der von der EPLF demobilisierten KämpferInnen unterstützt. „Es ist mir nie bekannt geworden, dass dort Kindersoldaten ausgebildet wurden“, sagte sie der taz. „Da hieß es immer: ‚Das gab es bei uns nicht.‘ “ Sie gehe davon, dass es bei der ELF genauso war. Das Thema sei erst in den 90ern aufgekommen. Es habe eine sogenannte Zero-School der EPLF im Sahel gegeben. Dort sei nach ihrem Kenntnisstand „nicht militärisch ausgebildet worden“. Über die Schule(n) der ELF im westlichen Tiefland könne sie nichts sagen. Bruchhaus ist Vorstandsmitglied der Organisation medica mondiale, die sich für Vergewaltigungsopfer in Kriegs- und Krisengebieten engagiert. Und sie ist gar nicht begeistert von der medialen Aufbereitung der Mehari-Diskussion. Nicht, weil kaum ein Medium die Geschichte gegenrecherchierte, sondern weil man sich dermaßen darüber errege. „Die Geschichte ist es nicht wert“, sagt Bruchhaus. Man solle über die desolate Lage im von der EPLF-Diktatur regierten Eritrea berichten – von der Unterdrückung, der Zensur, den Menschenrechtsverletzungen, der Lage der politischen Gefangenen. Doch das Interesse (sie nennt es „Geilheit“) der Medien reduziere sie auf zwei Themen: KindersoldatInnen und Klitorisbeschneidung. Ansonsten, sagt Bruchhaus, gehöre Eritrea mittlerweile in Deutschland in die Kategorie „unterdrückte Nachrichten“. PETER UNFRIED