Mitte gehörig die Meinung kleben

Mit Plakaten protestiert der Street-Artist SP 38 gegen die Yuppisierung des Innenstadtbezirks und den neoliberalen Zeitgeist. Trotzdem sieht er sich nicht als politischen Künstler: „Ich mache urbane Poesie“, sagt der Franzose über seine Arbeit

von André Glasmacher

SP 38 hat eines mit Comic-Cowboy Lucky Luke gemeinsam: Er ist schneller als sein Schatten – wenn auch nur mit dem Kleisterpinsel. Sein Künstlername, der auf einen französischen Polizeirevolver Bezug nimmt, spielt auf das Talent der Comiclegende an, sagt der Franzose etwas ironisch und mit so leiser Stimme, dass man ihn kaum versteht. Dabei streicht er sorgfältig die Ränder des Plakates glatt, das er gerade in der Auguststraße in Mitte auf eine Häuserwand geklebt hat.

„Who kills Mitte?“ steht dort in feinen blauen Lettern. Ein etwa 30-jähriger Passant bleibt stehen und fragt nach der Bedeutung seiner Botschaft. Und ob das überhaupt ernst gemeint sei. Das solle sich der Betrachter selbst beantworten, erklärt ihm SP 38. Worauf der Passant verlegen grinst und weitergeht. „Immerhin, er hat sich gefragt, was das soll“, freut sich der Künstler. Und Fragen, die sich der Passant möglichst selbst stellen soll, will er durch seine Plakate provozieren. „Ist ein anderes Leben möglich? Mit mehr Freiheit? Und weniger Kapitalismus?“, erläutert der Franzose. Damit man ihn nicht für einen bierernsten Künstler hält, fügt er rasch hinzu, dass er auch dafür ist, dass Schokolade wieder billiger wird. Und als politisch möchte er seine Arbeit auch nicht bezeichnen. „Es ist eher urbane Poesie.“

Seit den 90er-Jahren plakatiert der meist dunkel gekleidete Franzose seine hintersinnigen Botschaften, fährt er tagtäglich mit seinem schwarzen, verrosteten Fahrrad durch die paar Straßen zwischen Oranienburger und Torstraße. Davor lebte der Künstler, der weder seinen wahren Namen noch sein Alter (er dürfte in den 40ern sein) nennen möchte, in Paris. Er studierte an der Kunsthochschule, war in der Hausbesetzerszene aktiv und gehörte dort zu den „artistes squatteurs“, einer Bewegung, die leer stehende Industriekomplexe besetzte, um sie zu Kunstzentren umzugestalten. Angelockt von der Berliner Street-Art-Szene, die damals einen weltweiten Ruf besaß, kam er an die Spree. „Als ich das erste Mal in Mitte war, dachte ich, ich sei in einem Bürgerkriegsszenario gelandet“, erinnert er sich. Jetzt wird er fast ein wenig melancholisch. Denn damals bröckelten in Mitte viele Fassaden oder waren noch zu DDR-Zeiten grau in Schmutzigbraun verputzt worden. Heute strahlen die Häuser in der Frühlingssonne, ein junges Pärchen schiebt den edlen Designerkinderwagen an SP 38 vorbei. Ohne allerdings einen Blick auf sein eben geklebtes Plakat zu werfen.

Wahrscheinlich sind das die Mitte-Killer à la SP 38. Und es sind eigentlich nette „Killer“. Gegen Besserverdienende mit hohen Ansprüchen an Wohnkomfort im sanierten Altbau hat der Franzose prinzipiell gar nichts einzuwenden. Ihn stört nur, dass kleine Buchhandlungen verschwinden und eine Schuhboutique nach der anderen eröffnen, die Mieten steigen und die einstige legendäre Kreativszene fast völlig verschwunden ist.

Dabei ist sich SP 38 bewusst, dass diese Szene nur umgezogen ist, wenn auch unfreiwillig. Vielleicht wohnt sie jetzt an den Rändern von Wedding oder im tiefsten Neukölln, wo sie über ihren Projekten sitzt. „Aber wieso müssen wir gehen, nur weil jetzt die Yuppies kommen wollen“, fragt er sich. „Als es hier nur Außenklos und Kohleöfen gab, waren die in Charlottenburg glücklich.“

Ausstellung, Vernissage und Street-Art-Flohmarkt: 24. und 25. Februar in der „Fleischerei“, Torstraße 11, 12–20 Uhr