Wider der sozialen Selektion

Lehrergewerkschaft GEW warnt vor Zwei-Säulen-Modell: soziale Selektion werde so nicht verhindert. Die Aufteilung der Kinder nach wissenschaftlicher und handlungsorientierter Begabung sei Unfug

VON KAIJA KUTTER

In der Debatte um das Zwei-Säulen-Modell hatte sich die öffentliche Aufmerksamkeit zuletzt nur auf die Haltung der SPD konzentriert. Die GEW nahm nun gestern die CDU aufs Korn. Deren Eckpunktepapier vom Januar gäbe keine Antwort auf die wichtige Frage, „wie soziale Selektion in der Schule verringert werden kann“, sagte GEW-Chef Klaus Bullan im Vorgriff auf die morgige Abschlusssitzung der Enquete-Kommission.

Die CDU plant die Gesamtschule und die Haupt- und Realschulen zu Stadtteilschulen zusammenzufassen und die Gymnasien so zu belassen, wie sie sind. Dies würde die soziale Spaltung der Stadt „vertiefen“ warnt Bullan und verweist auf Statistiken, die im Jahr 2003 im Zuge der KESS-Grundschulstudie erhoben wurden. So haben auf den Gymnasien 47 Prozent der Eltern ein hohes Einkommen, während nur 24 Prozent zur unteren Einkommensgruppe gehören. Genau umgekehrt ist es in der künftigen zweiten Säule aus HR- und Gesamtschulen. Dort haben nur 21 Prozent der Eltern ein hohes und 48 Prozent ein sehr niedriges Einkommen.

„Der Zusammenhang zwischen Schulerfolg und sozialer, bildungsmäßiger und ethnischer Herkunft der Eltern ist in Hamburg eklatant hoch“, sagt Bullan. Selbst bei gleicher Lesekompetenz sei die Chance, eines Akademikerkindes, aufs Gymnasium zu kommen, 3,5 mal höher als die eines Arbeiterkindes.

„Kommt die Einheitsschule, werden wir eine viel größere Spreizung haben“, sagt dagegen der CDU-Schulpolitiker Robert Heinemann zur taz. „Die Reichen gehen in Privatschulen, die armen in staatliche Schulen.“ Ein sozialer Ausgleich könne nicht über die Schulstruktur, sondern nur über Stadtentwicklungspolitik geschehen. So habe man in Othmarschen mit dem Gymnasium „quasi eine Einheitsschule“, trotzdem gingen dort keine Wilhelmsburger Schüler hin. Im heterogeneren Stadtteil Ottensen hingegen gebe es am Gymnasium Allee auch eine soziale Mischung der Schülerschaft.

Zur Verringerung des soziale Problems trage das Zwei-Säulen-Modell „nichts“ bei, sagt wiederum GEW-Mann Bullan. Weil die Bildungsfachleute der SPD dies sähen, hielten sie an der „Schule für alle“ fest. In dem CDU-Papier hingegen werde dies „nicht mal in einem Halbsatz“ erwähnt.

Die Aufteilung der Kinder in zwei Säulen schaffe Probleme, wie die Abgrenzung, Trennung und Lenkung der Schülerströme. Bullan: „Erst werden zwei Säulen konstruiert und dann konstruiert man Schülertypen.“ So will die CDU mit Hilfe von Kompetenztest in „wissenschaftsorientiert“ und „praxisorientiert“ lernende Kinder unterscheiden. Hier werde der Stand der Wissenschaft „ignoriert“, sagt die GEW-Vize-Chefin Sigrid Strauß. „Nach heutigen Erkenntnissen geht man von einem dynamischen Begabungsbegriff aus, der sich je nach Lebensphase verändert.“

Zudem fürchtet die GEW mehr Druck und Stress für die Kinder, die zum Gymnasium gehen. Da diese nur bis Ende Klasse 6 Schüler abschulen dürfen, werde es eine „rigorose Auslese“ geben, stünden doch die Gymnasien in Konkurrenz und müssten verhindern, dass sich ihre Vergleichsdaten verschlechtern. Geradezu „zynisch“ nannte Bullan die Planspiele, den Anteil der Gymnasialkinder künstlich auf 30 Prozent zu verkleinern, um zu erreichen, dass in der zweiten Säule mit 70 Prozent eine gute Mischung zustande kommt. Bullan: „Wer denkt denn da an die Kinder.“ Eltern, die ihre Kinder auf Gymnasium schicken, wollten für sie die „bestmögliche Bildung“. Man müsse sie deshalb überzeugen, dass es auf einer „Schule für alle“ die gleiche Möglichkeit gibt.

CDU-Schulpolitiker Heinemann bestreitet, dass er die Schüler in „Begabungstypen“ unterscheiden wolle. Die Menschen hätten aber „unterschiedliche Stärken“, weswegen er an Gymnasium und Stadtteilschule entsprechende „Schwerpunkte“ schaffen wolle.