Rollende ReporterInnen

„Du bist ein Alien der Branche“ – In deutschen Redaktionen arbeiten nur ein paar Dutzend Rollstuhl-FahrerInnen und Blinde. Die schwerbehinderten JournalistInnen eint eines: Sie leisten Pionierarbeit

VON MARTIN LANGEDER

„Wie stellen Sie sich denn das vor?“, fragt der Leiter der Journalistenschule eindringlich und insistiert: „Es wird für Sie keine Sonderregeln geben.“ Da hatte Rebecca Maskos längst die Zusage für die 18-monatige Ausbildung. Doch die Schule, deren Namen Maskos nicht nennen möchte, bekam offenbar kalte Füße. Die 31-Jährige, die wegen der Glasknochenkrankheit auf einen Rollstuhl angewiesen ist, ließ sich nicht einschüchtern.

Wie Rebecca Maskos arbeiten in Deutschland vielleicht ein paar Dutzend Blinde und Rollifahrer hauptberuflich als Journalisten. Exakte Zahlen wie viele der bundesweit 6,6 Millionen Schwerbehinderten tatsächlich in der Medienbranche tätig sind, gibt es nicht. Eines aber eint die schwerbehinderten Journalisten hierzulande: Sie leisten Pionierarbeit. „Ihnen wird dieser Beruf meist nicht zugetraut“, sagt der Publizistikprofessor Fritz Hausjell: „Viele bekommen daher gar nicht erst eine Chance.“ Dazu kommen oft auch ganz simpel bauliche Hürden. Viele Medienhäuser sind schlicht nicht barrierefrei. So auch die taz-Redaktion in Bremen, wo Rebecca Maskos neben dem Psychologiestudium eines ihrer Praktika absolvierte. Die Redaktion liegt im ersten Stock, also packten die Redakteure an und trugen sie im Rollstuhl über die Treppe.

„Stufen oder keine Stufen?“, lautet auch für Christiane Link oft die entscheidende Frage. Sie ist durch einen Kunstfehler kurz nach ihrer Geburt querschnittsgelähmt. „Ich will nicht in der Redaktion versauern“, sagt sie. Zum Zeitpunkt des Interviews war Link noch IT-Redakteurin bei dpa. Und schon als Volontärin flog sie für die Hamburger Nachrichtenagentur nach Dubai. Zusätzlich zu den üblichen Reisevorbereitungen musste sich die 29-Jährige darum kümmern, ob die Veranstaltungsräume für Rollifahrer überhaupt zugänglich waren. Heute lebt und arbeitet sie in England. Und gibt weiter vorab Listen heraus, was bei der Planung ihrer Pressetermine und Reisen zu beachten ist – von der Flugbuchung bis zum barrierefreien Hotelzimmer. Trotz besten Briefings: Etwas geht eigentlich immer daneben. Auch darüber schreibt Christiane Link in ihrem Weblog www.behindertenparkplatz.de. Eine Firma schaffte es trotz vorheriger Zusage nicht, einen barrierefreien Veranstaltungsort für eine Produktpräsentation zu organisieren. Für Link wurde es ein mühevoller Parcours über Hotelstockwerke, die anschließende Pressekonferenz war mit dem Rollstuhl überhaupt nicht zu erreichen.

Fehlendes Bewusstsein

Vielleicht ist auch dies eine Erklärung für das fehlende Bewusstsein: „Auf hunderten Terminen habe ich nur einen anderen behinderten Journalisten getroffen“, sagt Charlotte Link. Sie arbeitet seit zehn Jahren im Journalismus: „Man muss psychisch sehr stark sein.“ Denn immer wieder werde einem mehr oder weniger klar signalisiert: „Du bist ein Alien in dieser Branche.“ Am Saaleingang bekommt die Journalistin dann auch schon mal Sätze zu hören wie: „Sie sind hier falsch. Hier findet eine Pressekonferenz statt.“ Dabei würde der Journalismus von mehr Integration profitieren, weil sich so ein „sensiblerer, realitätsnäherer Blick auf die Arbeits- und Lebenssituationen sowie die Anliegen von Menschen mit Behinderungen“ ganz automatisch ergebe, sagt Publizistikprofessor Hausjell. Solch höhere Sensibilisierung ließe sich im Alltag oft auch völlig unkompliziert umsetzen: Zum Beispiel bei Restaurantkritiken, die neben Informationen wie Öffnungszeiten und Telefonnummer auch mitteilen könnten, ob das Restaurant für Rollifahrer gerüstet ist.

Perfekt gerüstet ist jedenfalls Amy Zayed für ihren Job als Musikjournalistin. Statt sich mit Kinderliedern aufzuhalten, hörte sie sich durch die Plattensammlung ihrer Mutter: Deep Purple, Led Zeppelin und David Bowie. Mit vierzehn Jahren schnuppert sie zum ersten Mal Radioluft beim britischen Truppensender BFBS in Köln, später bewirbt sie sich mehrmals beim WDR-Musiksender „Eins Live“. Amy Zahed ist blind. Und immer wieder hört sie die gleiche Antwort: „Das geht nicht.“ Irgendwann klappte es doch mit dem Volontariat beim WDR.

Während sie früher Assistenten beim Schneiden ihrer Beiträge unterstützten, erledigt die 32-Jährige das heute selbst: Eine spezielle Software am Schnittcomputer sorgt dafür, dass die Audiodateien auch in Brailleschrift ausgegeben werden. Finanziert hat die 9.000 Euro teure Software der Landschaftsverband Rheinland.

Volontariat

Ihr Blindsein hängt die Kölnerin nicht an die große Glocke, schon gar nicht vor Terminen: „Man verunsichert die Leute viel zu sehr. Es kündigt ja auch niemand an, dass ein schwarzer oder ein schwuler Redakteur kommt.“ Nach dem Volontariat arbeitet Amy Zayed als Freie für die ARD, die BBC und BFBS. Auch das ist kein Zufall: Es sind vor allem die Öffentlich-Rechtlichen bei denen schwerbehinderte Journalisten unterkommen.

„Früher waren Menschen mit Behinderungen, die im Journalismus arbeiteten, praktisch nur Kriegsversehrte“, sagt Hans-Joachim Prassel, seit zwölf Jahren Schwerbehindertenvertreter beim Hessischen Rundfunk (HR). „Heute ist der HR mit einer Schwerbehindertenquote von 6,5 Prozent ARD-Spitzenreiter.“

Rebecca Maskos hat ihre Ausbildung an der Journalistenschule am Ende doch bekommen – aber nach nur drei Wochen geschmissen: für ein Volontariat bei Radio Bremen. Ihre Bilanz nach mehr als einem Jahr: „Ich werde ernst genommen und mache alles im Ausbildungsprogramm mit“, Außendrehs mit Kamerateams inklusive. „Ich mache Journalismus nicht, weil ich anderen damit etwas beweisen möchte“, sagt sie, „sondern weil mir der Job Spaß macht.“