Die grüne Alternative

Jahrelang rieb sich Barbara Oesterheld im Abgeordnetenhaus auf. Jetzt möchte sie Landesvorsitzende der Grünen werden und für neuen Schwung sorgen. Am liebsten sind ihr neue Ideen, die ohne Finanzierungsschere im Kopf entstehen

VON UWE RADA

Nein, ein Popstar ist sie nicht. „Das weiß ich schon länger“, sagt Barbara Oesterheld und lächelt. Sie hat die Frage verstanden. Es ist eine Frage, die man heute öfter stellt, auch bei den Grünen. Barbara Oesterhelds Antwort lautet: „Ich versuche, durch Inhalte zu überzeugen, nicht durch Spektakel.“

Um zu unterstreichen, was sie meint, nennt die Kreuzbergerin, die demnächst Grünenchefin werden möchte, zwei Polikerinnen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Lucy Redler von der WASG und die deutsche Bundeskanzlerin. „Lucy Redler hat etwas von Pop, aber sie wäre mir zu ausgeflippt, auch die Grünen haben sich verändert.“ Näher ist der überzeugten Linken dagegen die Kanzlerin, zumindest was den Politikstil betrifft: „Angela Merkel zeigt, dass man sich über inhaltliche Politik profilieren kann. Gerhard Schröder dagegen hat oft auf Show gesetzt. Dazu aber brauchen wir keine Politiker“, sagt Oesterheld, „dafür haben wir das Show-Business.“

Wären Sätze wie diese Almuth Tharan oder Till Heyer-Stuffer über die Lippen gekommen – keiner hätte es bemerkt. Barbara Oesterheld darf solche Sätze nicht nur formulieren, man glaubt sie ihr sogar. Das sagt viel über den Job, den sich die 55-jährige vorgenommen hat. Als Nachfolgerin von Tharan und Heyer-Stuffer will sie die Partei aus dem Wahrnehmungsloch bringen, in das sie die amtierenden Chefs gebracht haben. Barbara Oesterheld ist schließlich nicht irgendwer. Barbara Oesterheld ist Barbara Oesterheld, ein Markenzeichen, wie jene sagen würden, die auch die Fragen nach den Popstars stellen. Für alle anderen ist sie schlicht – die Alternative.

Oesterheld sitzt in der Rubens-Lounge am Mehringdamm, es ist ihr Kiez, um die Ecke wohnt sie, in Kreuzberg ist sie geboren. Erstaunlich aufgeräumt wirkt die ehemalige Abgeordnete, die sich zuletzt im Untersuchungsausschuss Bankenskandal aufgerieben hat. Der Entschluss, auf dem Landesparteitag in vier Wochen – auf dem morgen geht es zunächst um Inhalte – zu kandidieren, hat ihr Kraft gegeben und reichlich Gelassenheit.

Wie weggefegt scheinen die Jahre in der grünen Abgeordnetenhausfraktion mit ihrer Fraktionsdisziplin und dem alles bestimmenden Primat der Machbarkeit. Rückblickend sagt Oesterheld: „Wenn wir uns über eine neue Idee unterhalten haben, wurde immer gleich der Haushaltstitel rausgezogen.“

Mit solchen Quasidenkverboten soll nun Schluss sein. Fraktion ist Fraktion. Partei ist Partei. Oesterheld hat das schon gelernt, als sie 1999 in Kreuzberg für die Grünen ein Direktmandat geholt hat.

Als Landesvorsitzende wäre sie noch unabhängiger. „An der Basis und im Landesvorstand können wir Ideen entwickeln, ohne sie immer gleich finanzieren zu müssen“, freut sie sich. Es klingt, als wäre sie nach elf Jahren im Preußischen Landtag wieder in der Freiheit angekommen.

Entsprechend offen kommentiert sie schon jetzt die jüngsten Ereignisse in ihrer Partei. „Das Erscheinungsbild der Grünen nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus war eine Katastrophe“, sagt sie. Alleine die Forderung der Spitzenkandidatin Franziska Eichstädt-Bohlig nach drei Senatorenposten, meint Oesterheld, sei nicht der Stil der Partei gewesen. Das Gleiche gelte für die Reaktionen auf die Neuauflage von Rot-Rot. „Beleidigte Leberwurst haben wir gespielt, sonst nichts.“

Viel hätte nicht gefehlt, verrät Oesterheld, da hätte der Landesausschuss der grünen Verhandlertruppe eine Rüge ausgesprochen. Man merkt ihr an, dass sie darüber nicht unglücklich gewesen wäre. Wenn sie gewählt wird, sagt Barbara Oesterheld, „weiß jeder in der Partei, woran er ist“. Das gilt auch für die Fraktionsvorsitzende. „Franziska Eichstädt-Bohlig weiß, dass ich ihr gewachsen bin.“ Fast klingt es wie eine Drohung.

Ein „Zickenkrieg“ bahnt sich bei den Grünen freilich nicht an. Dafür sind Oesterheld und die Fraktionschefin Eichstädt-Bohlig viel zu erfahren in der Politik. Die politischen Gegensätze allerdings bergen einigen Sprengstoff. Galt Oesterheld in der Fraktion als erklärte Privatisierungsgegnerin, flirtete die Fraktionsspitze mit dem neoliberalen Image von Privatisierung und Wettbewerb, den Verkauf von landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften inklusive. Letzteren hätte die langjährige baupolitische Sprecherin aber nicht mitgemacht. Da ist sich Oesterheld auch einig mit Heidi Kosche und Dirk Behrendt, die in Kreuzberg für die Grünen ein Direktmandat gewonnen haben. Mit Oesterheld als Grünenchefin wäre Kreuzberg wieder wer bei den Grünen.

Nur, was wäre es? Ein Auslaufmodell? Oder auch ein Hinweis auf eine neue, modernere Politik der Linken? Barbara Oesterheld weiß, dass dies eine Gretchenfrage der Linken ist und auch eine Gratwanderung. Was gestern noch mehrheitsfähig war, wirkt heute oft altbacken. Umgekehrt gilt: Heute ist manches cool, das vor kurzem noch als reaktionär galt. So diktiert nicht nur die Überzeugung die Politik, sondern auch der Zeitgeist.

Eine moderne linke Politik, das heißt deshalb auch, die eigenen Positionen zu hinterfragen und die alten Fragen neu zu stellen. Was Oesterheld dabei hilft: Im Gegensatz zur Generation Golf, deren Haltung zur Politik eine ästhetische geworden ist, sind die Kreuzberger bei den Grünen, zu denen auch der Fraktionsvize im Bundestag Christian Ströbele gehört, meist Überzeugungstäter. Deshalb können sie da punkten, wo alle andern nur noch verlieren – bei der Glaubwürdigkeit.

Wenn Barbara Oesterheld, vor sich ein Stück Kuchen, neben sich eine Schachtel Zigaretten, über Glaubwürdigkeit spricht, fallen ihr jede Menge Geschichten ein, viele von ihnen sind nicht gerade ein Ruhmesblatt für ihre Partei. „Die Grünen waren die Ersten, die über eine City-Vignette diskutiert haben“, schimpft sie. „Jetzt kommt die Vignette und wir haben damit nichts zu tun.“

Für Oesteheld ist das ein klarer Fall für ein Trauma, dessen Ursprung zehn Jahre her ist. 1998 forderte die Partei 5 Mark für den Liter Benzin und wäre von den Wählern beinahe abgestraft worden. „Dabei kostet das Benzin vielleicht bald so viel, dass 5 Mark fast eine Begrenzung wäre“, scherzt sie.

Aber Barbara Oesterheld meint es ernst. „Viele Forderungen der Grünen sind inzwischen von anderen übernommen worden. Aber konkret wird nichts unternommen.“ Barbara Oesterheld will etwas unternehmen, kampagnenfähig will sie die Grünen wieder machen, vor allem, wenn es um das Thema geht, das derzeit so viele bewegt. „Wir können nicht von Klimawandel reden und dann ein Kohlekraftwerk mitten in Berlin bauen.“ Geht es nach Oesterheld, würde die Auseinandersetzung mit diesem Kraftwerk einer der Schwerpunkte grüner Politik in Zukunft werden.

Ein anderes Feld ist die innerparteiliche Demokratie und die Transparenz politischer Entscheidungen. Man kann es auch anders nennen: Der Tendenz zum Küchenkabinett soll wieder ein Landesverband gegenüberstehen, der seine Diskussionen offen führt und von unten nach oben.

Nur, was wird sein, wenn die Landeschefin in spe – im Gegensatz zu ihren Vorgängern – von den Medien zu allem und jenem befragt wird und auch die entsprechenden Antworten zu geben weiß? Wird sie dann erst ins Plenum gehen müssen, bevor sie Rede und Antwort steht?

Oesterheld weiß, dass auch diese Fragen auf sie zukommen. Was sie aber wirklich zur Kandidatin der Basis macht, ist neben der Unzufriedenheit über den amtierenden Landesvorstand eine politische Erneuerung der Partei. Dazu gehören auch jene Emotionen, die man bei Oesterheld kaum vermuten würde. „Wenn Landowsky in den Knast geht“, verrät sie, „dann köpfe ich eine Flasche Sekt.“