Anarchischer Markt

Die New Yorker Armory Show ist eine Kunstmesse, auf der dieses Jahr neben Swarovski-Kristall-Schick auch Projektkunst ausgestellt wurde

VON SASKIA DRAXLER

Die Armory Show ist die zweitplatzierte Messe in der Hierarchie einer Reihe von Kunstmessen, die in der vergangenen Woche in New York stattfanden. Ursprünglich wurde sie vor neun Jahren als jüngeres Gegenmodell zur Art Show gegründet, die von der konservativen Art Dealers Association of America organisiert wird und ausschließlich amerikanische Galerien zulässt, die hochpreisige und abgesicherte Positionen anbieten. Ein Gang über die Art Show gleicht einem Gang durch die neuere Kunstgeschichte bis zurück zur Nachkriegszeit. Auf der Armory Show, die am Pier 94 am New Yorker Hudson River stattfindet, zeigt man dagegen eher junge und mittlere Karrieren wie etwa Anne Collier, John Miller oder Kader Attia. Dazwischen verliert sich vereinzelt ein Marc Rothko (Thaddaeus Ropac) oder eine 500.000 US-Dollar schweres achtteiliges Gemälde des chinesischen Popkünstlers Fang Lijun (Arario Seoul/Peking).

In keiner anderen Stadt der Welt findet sich vermutlich so viel zeitgenössische Kunst in privaten Häusern und Appartements wie in New York. Privates Interesse, privates Engagement und privates Geld haben die New Yorker Museumslandschaft ursprünglich begründet und prägen sie heute mehr denn je. Die Repertoires von Institutionen wie dem Museum of Modern Art oder dem Whitney speisen sich zum größten Teil aus Schenkungen und Leihgaben von Sammlern, die öffentlichen Zuschüsse sind gering. In Zeiten schneller Preissteigerungen für bestimmte Kunstwerke lassen sich auf dem Zweitmarkt (Weiterverkauf und Auktionen) hohe Gewinne erzielen. Sammler und ihre Berater agieren häufig nicht nur als Kunstliebhaber und -experten, sondern als Händler und Marktanalysten.

In den öffentlichen Museen und Institutionen wiederum tritt die Kuratorentätigkeit des Kontextualisierens und Vermittelns notgedrungen in den Hintergrund, tendenziell erscheinen die eigenen Ankäufe der Häuser immer mehr am Markt orientiert. Die Dominanz des Geldes verdrängt, was ehemals als Definitionsmacht bezeichnet wurde und mitentscheidend war, wenn es darum ging, was an zeitgenössischer Kunst Eingang in die Zentren gesellschaftlicher Wahrnehmung fand, ja was überhaupt als Kunst galt. Insofern könnte es heute auch wieder darum gehen, eine kritische Entscheidungskraft gegen die gröberen, bewusstlosen Strömungen des Marktes wieder zu stärken.

Die großen Kunstmessen seien heute wie börsennotierte Unternehmen, wobei sich die Galeristen verhielten wie ungeduldige Aktionäre, die verlangten, dass die Erwartungen des Publikums ans große Spektakel von den Messeorganisatoren immer wieder übertroffen werden, so schreibt Brian Sholis in der Online-Klatschspalte der Zeitschrift artforum. Dabei fällt auf, dass die Armory Show auf ein Begleitprogramm mit Sonderschauen, Talks und Symposien, wie sie von London bis Miami üblich sind, verzichtet. Die Auftragsarbeiten an Künstler beschränken sich auf die Gestaltung von Plakat und Ausstellungskatalog, in diesem Jahr durch Pipilotti Rist.

Trotz des fehlenden Rahmens ist die Armory Show nicht in erster Linie eine Messe für Händler und Spekulanten. Viele Käufe in den Preiskategorien zwischen 10.000 und 60.000 US-Dollar werden von „privaten“ Kunden getätigt, die nach persönlichen Vorlieben gehen. So greift der Microsoft-Manager vielleicht zu einem Gemälde, das einen Skateboarder darstellt, weil er selbst Skateboarder ist, die Innenarchitektin sucht sich ein monochromes Quadrat von Heimo Zobernig aus, das mit Swarovski-Kristallen bestreut ist.

Die einzelnen Stände gaben sich eher unprätentiös. Galerien, die ein quasikuratorisches Konzept in Form eines Statements verfolgten oder Einzelpositionen präsentierten (bei der Berliner Galerie Crone wurde etwa Hanne Darboven ausgestellt), waren die Ausnahme. Man zeigte, was man hatte, und alles ging. Eine gewisse Marktanarchie ließ sich feststellen, mindestens aber eine liberale Haltung, die „politische“, „kritische“ oder „partizipatorische“ Kunst genauso gelten lässt wie Malerei und Skulptur.

Doch selbst wenn Kunst im Kontext einer Messe als Ware verhandelt wird, stehen Arbeiten, die auf die Bedingungen ihrer Produktion oder auf gesellschaftliche Zustände reflektieren, nicht automatisch auf verlorenem Posten. So wirft die „Maintenance art“ (etwa: Pflege- oder Erhaltungskunst) von Mierle Laderman Ukeles, die von Ronald Feldman Fine Arts angeboten wurde, im Kunstkaufhaus ihre Fragen eindringlicher auf als vielleicht im Museum oder im kommunalen Artspace. Feldmans Stand war ausgefüllt mit der Arbeit „social mirror“ von 1983: ein 12-Tonnen-Truck der New Yorker Müllabfuhr, dessen Außenkarosserie durch große Spiegelflächen ersetzt ist.

Mierle Laderman Ukeles war mehr als 30 Jahre lang unbezahlt „artist in residence“ der New Yorker Stadtreinigung. Während dieser Zeit wirkte sie mit Müllmännern und Landschaftsarchitekten an der Gestaltung von Fresh Kills, einer der größten Abraumhalden der Welt. Sie gab jedem New Yorker Müllmann einzeln die Hand und dankte ihm für seine Arbeit für die Gemeinschaft. „Ukeles brings sanitation [Müllentsorgung] to life“, sagte Keith Mellis, Sprecher des Departements für Stadtreinigung, der eine Anzahl Müllmänner mit zur Armory Show gebracht hat.