Nachhilfe macht Schule

Große Klassen, Unterrichtsausfall, Zukunftsängste – die Situation an Berliner Schulen beschert den Nachhilfe-Instituten neue Klientel: Schüler mit guten Noten, auch aus sozial schwächeren Familien

von KATHRIN SCHRECK

Früher waren es die mit den zwei Fünfern im Halbjahreszeugnis, einer davon meistens in Mathe. Um doch nicht die Klasse wiederholen zu müssen, drückten sie zweimal pro Woche die private Schulbank bei Studienkreis und Co. Heute sind die Probleme, mit denen die Berliner Schüler zu den Nachhilfe-Instituten kommen, weitaus breiter gefächert.

Es geht dabei oft um Misstrauen gegenüber den Schulen, die mit übervollen Klassenzimmern und ausfallendem Unterricht die Messlatte für ihre eigene Qualität sehr niedrig legen. Hinzu kommt die Angst, nach der Schule auf dem engen Arbeitsmarkt nicht Fuß fassen zu können. Faktoren wie diese führen in der Summe dazu, dass nun auch andere Schüler ihren Weg zur Nachhilfe finden: die, die jünger an Jahren, besser in der Schule oder auch finanziell schwächer sind als die alte Kundschaft.

„Bei uns sind gut die Hälfte der Kinder noch in der Grundschule“, sagt Reinhart Scholz vom Nachhilfe-Institut Der Lernfreund, das in Steglitz und Prenzlauer Berg Filialen hat. Er schätzt, dass das Institut innerhalb der letzten zwölf Monate 30 Prozent mehr Schüler dazugewonnen hat. „Oft haben die Kinder gar keine schlechten Noten, stehen so zwischen zwei und drei.“

Weil aber der Unterrichtsausfall an den Schulen so hoch sei, so erklärt Scholz, hätten die Eltern Angst, dass die Kinder den Anforderungen an einer weiterführenden Schule nicht standhalten werden. „Die Eltern fragen sich, woher die guten Noten denn kommen, wenn der Unterricht oft einfach nicht stattfindet“, so Scholz weiter. Ein berechtigter Einwand.

Dass die Eltern mit dieser negativen Einschätzung der Qualität der Grundschulen auch durchaus richtig liegen können, weiß André Schindler, Vorsitzender vom Landeselternausschuss Berlin. „Oft werden in den Tests der siebten Klasse der Oberschule die Defizite aus den Grundschulen sichtbar.“ Die Oberschulen, obwohl bei schlechten Testergebnissen eigentlich zu eigenen Fördermaßnahmen verpflichtet, verweisen wiederum an die Nachhilfeeinrichtungen. Oder bieten sogar eigenen kostenpflichtigen Zusatzunterricht an. Schindler selbst hat schon Lehrer auf ihren mangelhaften Unterricht angesprochen und mehr Engagement eingefordert. „Wissen Sie, was ich da als Antwort bekommen habe? Ich bin Beamter.“

Wenn die Eltern sich den privaten Unterricht leisten können, dann zahlen sie auch. Die Angst um die Zukunft ihrer Kinder, verstärkt durch die anhaltend schlechte Lage bei den Ausbildungsplätzen, lässt sie das Geld in den privaten Unterricht investieren. Gelegentlich auch dann, wenn sie das Geld vielleicht gut für andere Dinge gebrauchen könnten.

„Wir sind häufig in den Randgebieten unterwegs, in Marzahn zum Beispiel“, berichtet Günter Bonin, Mitarbeiter von Aha-Nachhilfe. Die Nachhilfeeinrichtung arbeitet nicht im Gruppenunterricht, sondern fährt zu ihren Schülern nach Hause. Bonin erlebt dabei täglich, was auch die Zahlen der letzten Shell Jugendstudie von 2006 für ganz Deutschland belegen: Hauptschüler und Angehörige der sogenannten Unterschicht nehmen häufiger Nachhilfeunterricht in Anspruch als früher – auch in der Hoffnung, dadurch doch noch in der Realschule zu landen. Bonin wundert’s nicht, denn die Situation für viele Hauptschüler habe sich deutlich verschlechtert. „Erst vor kurzem hatte ich einen Schüler aus einer schwierigen Neuköllner Hauptschule. Und was macht die Schule? Anstatt die Klassenstärke bei zwölf Schülern zu belassen, werden weitere sieben Schüler aus einer anderen Klasse dazugesteckt!“

Auch André Schindler beurteilt die Lage der Hauptschüler in Berlin als sehr problembehaftet. „ Der bayerische Hauptschulabschluss entspricht dem Leistungsanspruch unseres Realschulabschlusses.“ Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit dürften die Berliner Hauptschüler damit kein gutes Gefühl beim Blick auf ihr Zeugnis haben – Und vielmehr weiterhin das Angebot der privaten Nachhilfeeinrichtungen nutzen.

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