Freie Fahrt nur mit Plakette

von BEATE WILLMS

Wer seine Lunge und sein Herzkreislaufsystem mal so richtig reizen will, sollte unbedingt einen Ausflug nach Stuttgart machen und dort am Neckartor entlangschlendern. Hier wurden im vergangenen Jahr die höchsten Konzentrationen an Feinstaub in der Luft gemessen. An 144 Tagen fanden sich mehr als 50 Mikrogramm in einem Kubikmeter Luft. Die EU-Feinstaubrichtlinie erlaubt nur 35 Überschreitungen dieses Tagesgrenzwertes.

In den vollen Genuss der Staubdröhnung wird man allerdings wohl nur in der ersten Hälfte dieses Jahres kommen. Denn ab dem 1. März können Städte und Gemeinden Umweltzonen einrichten, in denen keine Autos fahren dürfen, die besonders viel Feinstaub erzeugen. „Zum ersten März wird aber noch keine Stadt ein Fahrverbot einführen“, heißt es beim Deutschen Städtetag. Dazu sei vieles erst zu spät geregelt worden. Dann aber könnte Stuttgart die erste Stadt sein, die den Verkehr in ihrer Innenstadt einschränkt. Die Stadtverwaltung setzt auf den Starttermin 1. Juli. München und Köln planen die Einführung zum 1. Oktober, Mannheim zum 1. November, und bis zum 1. Januar 2008 wird wohl das Gros der Kommunen dabei sein – wenn bis dahin die letzte noch offene Frage beantwortet ist.

Ermöglicht werden die Umweltzonen durch die so genannte Plakettenverordnung, die am 1. März in Kraft tritt: Aufkleber in den Farben der Verkehrsampeln sollen auf den ersten Blick erkennbar machen, ob ein Wagen viel oder wenig Schadstoffe ausstößt. „Nur so können die geplanten Fahrverbote nicht nur verhängt, sondern auch kontrolliert werden“, sagt Thomas Hagbeck. Er ist Sprecher des Bundesumweltministeriums, das für die Verordnung verantwortlich zeichnet.

Allerdings wollte man im Bundesumweltministerium bei der Auflistung der Autos, die die Zonen nicht befahren dürfen, entweder besonders weitsichtig sein – oder sich einfach besonders wenig Arbeit machen. Jedenfalls haben sich die Experten an vorhandenen Schadstofftabellen orientiert, die nicht nur den Ausstoß von Feinstaub, sondern auch von anderen Schadstoffen wie vor allem Stickoxiden berücksichtigen, für die es künftig auch Grenzwerte geben wird. Die Folge: Nicht nur Diesel-Pkw, die nur die Euro-Norm 1 oder weniger erfüllen, bekommen Fahrverbot. Auch Benziner ohne geregelten Katalysator müssen draußen bleiben – und das, obwohl sie nicht mehr Feinstaub produzieren als etwa ein Diesel mit Euro-3-Norm, der noch ein paar Jahre freie Fahrt haben dürfte.

Viele Städte und Kommunen sind irritiert. „Das ist ja ein viel stärkerer Eingriff als geplant“, meint Münchens Oberbürgermeister Christian Ude, der auch Präsident des Deutschen Städtetags ist. Selbst Werner Reh, der Feinstaubexperte des Umweltverbandes BUND sagt: „Das ist Quatsch. Da ist ein Fehler passiert, und der muss korrigiert werden.“ Während das für ihn „keine große Sache“ ist, die auch bei der ohnehin demnächst anstehenden Ausweitung auf Lkw mit geändert werden könnte, besteht Ude darauf, dass das Bundesumweltministerium (BMU) die Sache umgehend klärt. Vorher, droht er, gebe es keine Umweltzonen.

Die Formulierung stamme aus dem Bundesrat, sagt BMU-Sprecher Thomas Hagbeck. Deshalb könne er „diesen plötzlichen Ausbruch von Erkenntnis nicht nachvollziehen“. Dazu muss man wissen, dass die Länder nahe daran gewesen waren, die längst vom Kabinett verabschiedete Verordnung zu kippen – und letztlich auch deutliche Entschärfungen durchsetzten.

„Dieses Schwarze-Peter-Spiel der gegenseitigen Schuldzuweisungen ist der Sache nicht dienlich“, findet Reh. Inzwischen scheint man im Umweltministerium eine salomonische Lösung gefunden zu haben. Man werde sich offen zeigen, wenn die Länder im Bundesrat entsprechende Änderungsanträge stellten, sagte Hagbeck Mitte Februar.

Die meisten Umweltzonen sind relativ weiträumig geplant. In Stuttgart geht es um die gesamte Innenstadt, in Berlin soll der Verkehr innerhalb des S-Bahn-Rings eingeschränkt werden. Das bislang ambitionierteste Projekt hat jedoch Nordrhein-Westfalen vor. Dort hat der Regionalverband Ruhr (RVR) eine Machbarkeitsstudie „Regionale Luftreinhalteplanung“ erstellen lassen, in der unter anderem eine regionale Umweltzone als „das geeignetere und effektivere Modell für die Städte des Ruhrgebiets“ befürwortet wird. Diese soll „das Ruhrgebiet von Moers bis Hagen“ umfassen, also sämtliche Städte des RVR, Autobahnen werden außer Acht gelassen.

Feinstaubexperten geht das allerdings fast zu schnell. BUND-Mitarbeiter Reh beispielsweise befürchtet, dass es nur zu weiteren Verzögerungen führt, wenn sich die Kommunen im Ruhrgebiet auf eine komplizierte große Lösung versteifen statt erst einmal klein anzufangen. Und tatsächlich sagt Markus Fliege, Sprecher des Umweltministeriums von Nordrhein-Westfalen: „Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit.“ Das Ministerium wolle ein Gesamtkonzept vorlegen, das dann auch „so umgesetzt werden kann“. Reh hält das für schwierig. „Handlungsträger sind nach dem Gesetz die Kommunen“, deshalb müssten diese auch zuerst aktiv werden und eigene Umweltzonen einrichten. „Vernetzen können sie sich immer noch.“ Bei einer großräumigen Umweltzone, die laut Reh „inhaltlich sehr wohl sinnvoll wäre“, bleibe unklar, wen man – also geschädigte Anwohner oder auch Umweltverbände – zur Rechenschaft ziehen kann, wenn die Maßnahmen nicht ausreichen.

Die Plakettenverordnung teilt alle Fahrzeuge in insgesamt 4 Klassen ein. Diesel, die höchstens die Euro-Norm 1 erreichen, und Benziner ohne geregelten Katalysator bekommen keine Plakette – Ausnahme: Sie werden nachgerüstet. Das kostet zwischen 600 und 1.000 Euro – wobei als sicher gilt, dass der Staat dabei immerhin 330 Euro zuschießt, wenn es sich um den nachträglichen Einbau eines Dieselrußfilters handelt.

Nach etlichen Verzögerungen ist das Gesetz zur steuerlichen Förderung von Partikelfiltern nun im Gesetzgebungsverfahren. Am 1. oder 2. März gibt es die zweite und dritte Lesung im Bundestag, am 9. März will der Bundesrat endgültig zustimmen. „Das ist auch der letzte mögliche Termin, wenn das Gesetz zum 1. April in Kraft treten soll“, sagt BMU-Sprecher Hagbeck. Die Förderung soll rückwirkend ab dem 1. Januar gelten.

Fahrzeuge der besseren Schadstoffgruppen werden in den Farben Rot, Gelb und Grün ausgezeichnet, wobei auch hier eine Nachrüstung den Aufstieg in eine bessere Klasse möglich ist.

Auf längere Sicht ist das eine gute Investition. Denn zunächst haben zwar alle Autos mit Plaketten freie Fahrt, für später drohen aber abgestufte weitere Einschränkungen: Die Städte können auch Fahrverbote für Pkw mit roten und später gelben Plaketten aussprechen. Dass das in absehbarer Zeit notwendig wird, bezweifelt niemand. In vielen Luftreinhalteplänen sind deshalb auch schon konkrete Zeitpunkte für die zweite Stufe angegeben – zwei bis fünf Jahre nach der ersten.

Feinstaubexperte Reh hält das allerdings für „typische Bürokratie“. Die Fahrverbote müssten dann mehr Autos treffen, wenn sich zeigt, dass die erste Stufe nicht reicht, um die Feinstaubgrenzwerte wieder einzuhalten. Am Neckartor in Stuttgart könnte es ganz schnell so weit sein. Baden-Württembergs CDU-Umweltministerin Tanja Gönner sagte kürzlich: „Um die Grenzwerte am Neckartor einzuhalten, müssten wir den Verkehr halbieren.“ Und das dürfte mit der ersten Stufe noch lange nicht gelingen.

Wo ein Fahrverbotsbereich beginnt und wo er aufhört, zeigt ein neues Verkehrszeichen an: In einem roten Kreis auf weißem, schwarzumrandeten Grund steht „Umwelt“, darunter „Zone“. Ein Zusatzschild gibt an, mit welchen Plaketten das Gebiet befahren werden darf. Wer ohne die angegebene Plakette erwischt wird, bekommt ein Bußgeld von 40 Euro und einen Punkt in der Flensburger Verkehrssünderdatei.

Vorläufig generell ausgenommen von Fahrverboten sind Motorräder, Traktoren, Krankenwagen, Militär, Fahrzeuge von Polizei und Feuerwehr. Auch der Transport von Schwerbehinderten erlaubt das Befahren von Umweltzonen ohne die entsprechende Plakette. Außerdem kann jede Kommune eigene Ausnahmen beschließen. Darauf setzen vor allem die Eigentümer von Oldtimern, bei denen oft keine Möglichkeit der Nachrüstung besteht – oder bei denen ein nachträglicher Umbau den Wert beeinträchtigen würde.

Und was bringt das alles? Studien zufolge ist der Verkehr nur für 14 bis 18 Prozent der Feinstaubbelastung insgesamt zuständig, der Rest kommt aus der Industrie, von Kraft- und Fernheizwerken, aus Haushalten und Schüttgutumschlag. „Das gilt aber nicht für die Innenstädte“, sagt Gerd Lottsiepen, Verkehrsexperte des Verkehrsclubs Deutschland. Dort könne der Anteil durchaus bei 30 bis 60 Prozent liegen. Allerdings stammen auch diese giftigen Partikel längst nicht alle aus Dieselruß und auch nicht alle aus dem lokalen Verkehr. Einen weiteren Teil trägt der so genannte Abrieb von Reifen, Bremsbelägen und sogar Straßen bei. BUND-Mann Reh sagt: „Allein mit Dieselrußfiltern für Pkw bekommen wir den Feinstaub nicht komplett in den Griff.“