Der hungernde Klimaschützer

„Mit Gott über mir und dem Arzt an der Seite stehe ich meinen Hungerstreik noch lange durch“

AUS KREFELD PASCAL BEUCKER

Sein Haus im Krefelder Stadtteil Bockum sei leicht zu finden, hatte Ulrich Grubert am Telefon gesagt. Es stimmt, in der beschaulichen Eigenheimsiedlung ist es schon von weitem identifizierbar: Auf dem Dach drehen sich die Flügel von drei kleinen Windrädern. Statt Gartenzwerg ziert eine Solarkollektorenkonstruktion in Sonnenblumenform den Vorgarten. Freundlich lächelnd öffnet der Hausherr die Tür. Er macht einen geradezu energiegeladenen Eindruck. Sieht so jemand aus, der sich seit über einer Woche in einem „unbefristeten Hungerstreik“ befindet? „Die ersten Tage habe ich gut überstanden“, berichtet der stämmige Mann sichtlich zufrieden.

Die letzte feste Nahrung hat Grubert am Veilchendienstag zu sich genommen. Seitdem verweigert der 52-Jährige die Essensaufnahme. Um zu warnen, um aufzurütteln. Konkretes Ziel seiner ungewöhnlichen Protestaktion: Er will den Neubau eines Steinkohlekraftwerks auf dem Gelände der Bayer AG im Chemiepark Uerdingen verhindern. „Das bin ich meinen Kindern schuldig“, sagt der bärtige Umweltaktivist mit ernster Miene.

Eine Milliarde Euro soll das mit einer Nettoleistung von mindestens 750 Megawatt konzipierte Kohlekraftwerk kosten, das eine zur Aachener Trianel-Gruppe gehörende Projektgesellschaft im Auftrag von 26 Stadtwerken und Regionalversorgungsunternehmen plant. Nach den Vorstellungen des Bauherrn kann Mitte nächsten Jahres mit dem Bau begonnen werden, bis Ende 2012 soll das Kraftwerk ans Netz gehen. Allerdings muss noch der Rat der einstigen Seidenstadt am Niederrhein sein grünes Licht geben.

Für Grubert wäre das jedoch eine klimapolitische Todsünde: „Ein Kohlekraftwerk, wie das bei uns geplante, erzeugt jährlich rund 4,4 Millionen Tonnen Kohlendioxid“, warnt er. Und rechnet zum Vergleich dagegen: Falls die australische Regierung wie angekündigt bis 2015 alle herkömmlichen Glühbirnen in Down Under aus dem Verkehr zöge, brächte dies gerade mal eine Klimakillerersparnis von 3 Millionen Tonnen.

Dabei sei das Krefelder nur eines von insgesamt 27 Stein- und Braunkohlekraftwerken, deren Bau für die kommenden Jahre in Deutschland anvisiert ist, empört sich Grubert, spricht von einem „Großangriff gegen Flora, Fauna, Mensch und Klima“. Gegen diesen „finalen Amoklauf einer auslaufenden Kraftwerkstechnologie“ will der Erdkunde- und Physiklehrer an einem Abendgymnasium den zivilgesellschaftlichen Widerstand mobilisieren. „Wir können diesen Wahnsinn noch stoppen“, gibt er sich kämpferisch.

Deswegen also nimmt Grubert derzeit nur Wasser und Tee zu sich. „Alle paar Tage trinke ich außerdem einen Becher reine Molke, um meinen Eiweißhaushalt konstant zu halten.“ Seinen Vitamin- und Mineralienbedarf deckt er mit Brausetabletten.

Zehn Kilo hat Grubert bereits abgenommen. „Das geht rasend schnell, ich bin froh, das mein Kreislauf das noch mitmacht.“ Selbstverständlich stünde er unter ärztlicher Kontrolle. Er sei ja „kein Kamikazetyp“, mache seinen Essausstand vielmehr „mit Augenmaß, weil ich mir der Verantwortung meinen Kindern und meiner Frau gegenüber bewusst bin“. Wie lange er durchhalten wird? „Ich habe ein gutes Ausgangsgewicht und auch viel Kraft, um das durchzustehen – länger als es manchem Politiker lieb sein dürfte.“

Dass er einen langen Atem im Einsatz gegen fragwürdige Großprojekte haben kann, hat Grubert schon einmal unter Beweis gestellt. 1987 gründete er aus Protest gegen eine von der Stadt geplante Giftmüllverbrennungsanlage mit Gleichgesinnten den Niederrheinischen Umweltschutzverein (NUV). „Da ist damals sogar eine kommunale Regierung drüber gekippt“, erzählt Grubert mit glänzenden Augen. Tatsächlich verlor die traditionell im konservativen Krefeld regierende CDU, die den Bürgerprotest völlig unterschätzt hatte, über den Streit für eine Legislaturperiode ihre Ratsmehrheit an Rot-Grün. Erst als auch sie bereit zum Umdenken waren, schafften die Christdemokraten die Rückkehr an die Stadtspitze. Insgesamt acht Jahre dauerte es, dann hatten die Umweltinitiativler es geschafft: Die Anlage wurde nicht gebaut. Der NUV hingegen existiert immer noch. Grubert ist zweiter Vorsitzende. Allen Politikern, die nun über das Kohlekraftwerk zu entscheiden haben, könne er nur „dringend ans Herz legen“, sich der damaligen Auseinandersetzung zu erinnern, mahnt er.

Wann er zum Umweltaktivisten wurde? Das kann der gebürtige Krefelder exakt benennen: Es war der 26. April 1986 – der Tag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Als die Angst vor der radioaktiven Wolke aus der Ukraine die Menschen in ganz Europa fesselte, war seine Frau gerade mit dem dritten Kind im dritten Monat schwanger. „Da bin ich zu dem Entschluss gekommen, ich muss etwas unternehmen.“ Seitdem streitet er unermüdlich gegen umweltgefährdende Technologien und für den Einsatz regenerativer Energien.

Und er belässt es nicht bei Appellen, will vielmehr selber ein gutes Beispiel geben. So hat er das 40 Jahre alte Haus, in dem er und seine Familie seit 1981 wohnen, mustergültig ökologisch umgemodelt: drei Scheiben Isolierverglasung, ein Kiesspeicher zur Wärmebunkerung unter dem Wintergarten; eine Heizung, die mit Rapsöl läuft. Die konsequente Verwendung von Energiesparlampen versteht sich ohnehin. Bis auf eine Ausnahme: Der noch zu Hause wohnende 20-jährige Sohn, jüngstes von drei Kindern, hat noch ein paar Halogenspots im Einsatz. „Die hat er unbedingt haben wollen, da konnte ich nichts dran ändern“, räumt der Vater zerknirscht ein.

Den Strom, den die Gruberts über die von den drei kleinen Windgeneratoren und der Photovoltaikanlage auf dem Dach produzierten Menge hinaus benötigen, kommt seit Anfang des Jahres von einem Hamburger Ökostromanbieter. „Damit leben wir jetzt klimaneutral“, sagt Grubert sichtlich stolz. „Das macht ein gutes Gefühl.“

Das macht dem Vorzeige-Umweltschützer auch sein ökologisch korrektes Auto: ein mit Sonnenkollektoren aufgerüstetes Elektromobil. Mit dem nahm er 2001 an der Internationalen Solarmobil Tour De Ruhr teil. Und er gewann die Rallye, bei der es nicht darauf ankommt, wer zu erst im Ziel ist, sondern wessen Wagen am wenigsten Energie verbraucht. Der Siegespokal ist bis heute gut sichtbar in dem Wagen platziert.

Am Anfang sei er von etlichen Nachbarn noch als „Ökospinner“ belächelt worden. Aber das sei ihm egal gewesen: „Jeder lange Marsch beginnt mit dem ersten Schritt.“ Inzwischen hätten die meisten erkannt, „dass ich mich doch auf dem richtigen Trip befinde.“ Jahrzehntelang habe niemand etwas von der drohenden Klimakatastrophe wissen wollen, mittlerweile schlage sogar die Bild-Zeitung Alarm.

Er fühle sich der christlichen „Schöpfungsverantwortung“ verpflichtet, begründet der Katholik Grubert sein geradezu missionarisches Engagement. Ohnehin schöpfe er „unheimlich viel Kraft“ aus seiner Religion. Die spielt im Hause der Gruberts keine unwesentliche Rolle: „Wir sind Christen nicht nur auf dem Papier, sondern versuchen, unseren Glauben auch umzusetzen“. Er sehe sich „im besten Sinne als Marionette Gottes“, verkündet Grubert.

So entschlüsselt sich der seltsame Button, den er am Revers trägt, bei näherem Hinsehen als christliches Symbol: Es ist eine stilisierte goldene Jakobsmuschel auf blauem Grund. „Ich bin ein begeisterter Jakobspilger“, erläutert der 52-Jährige. Die ersten 600 Kilometer habe er bereits in Spanien auf dem Weg nach Santiago de Compostela zurückgelegt. „Ich mache das in Etappen.“

Auch bei seinem Kampf gegen das Krefelder Kohlekraftwerk hat er noch einige Etappen vor sich. Aber Grubert ist frohen Mutes – auch was seine politische Fastenaktion betrifft: „Mit Gott über mir und dem Arzt an der Seite stehe ich meinen Hungerstreik noch lange durch.“