Den Chinesen dissen

Erwärmung des nationalen Diskursklimas: USA und China werden als Superbösewichte beim Klimawandel vereint

Seit dem UN-Bericht im Januar haben sich sämtliche zuvor mehrheitsfähigen Zweifel am Zusammenhang zwischen Emission und Erderwärmung zerstreut. Da aber der Konnex in dieser Unhinterfragtheit noch relativ frisch ist – schon ein Blick auf die Artikellage von 2006 beweist das –, belohnt seine Reproduktion den jeweiligen Sprecher zuverlässig mit einem moralischen Surplus. Wer immer sich für den Klimaschutz starkmacht, ist auf der sicheren Seite; er hat auf jeden Fall erst mal recht.

Das wiederum führt dazu, dass mit dem Klimathema die unterschiedlichsten Interessen unterfüttert werden. Vom Alarmismus über die offene Liebe zum Verbot als opportune Ersatzhandlung bis hin zur Reaktivierung von nationalistischen Stereotypen ist alles im Angebot. Auch eine Kritik an kapitalistischen Produktionsbedingungen findet sich, wenn auch eher selten in einem am ökonomischen Wissen geschulten Vokabular. Das ist schade.

Im Zuge des gefühlten Umbrechens nicht nur des Wetters, sondern auch der globalen Hegemonie kristallisieren sich nun zwei neue Superbösewichte heraus: die USA (kennen die Europäer schon) und zunehmend auch China (mochten die Europäer noch nie). Indien und Brasilien stehen zwar gleichfalls auf der Liste der global unverträglichen Schmutzteufel, sie aber schüren bislang keine vergleichbaren Aggressionen, wie sie der vom Kollegen Bush verteidigte American lifestyle und der chinesische Griff nach einer baldigen Weltmachtposition auf sich ziehen.

So ließ sich diese Woche der Tagespresse entnehmen, dass die chinesische Bevölkerung vor allem am eigenen Fressen und weniger an globaler Verantwortung, siehe Klimaschutz, interessiert sei. Insofern nicht damit zu rechnen sei, dass ihr Druck auf die chinesische Regierung ausgeübt wird. Da müssen wir Europäer also mal wieder ran.

Die Krux ist: So richtig die Kritik an der Ignoranz der chinesischen Regierung gegenüber Umweltfragen ist – auch Europa hat bislang vor allem durch Absichtserklärungen geglänzt. Ebenso wie Kalifornien. Und was von den vielfach gehandelten Prozentzahlen in Sachen Rußauswurfsminderung tatsächlich bis 2020 in die Realität umgesetzt wird, lässt sich derzeit ohnehin schwer, aber sicher nicht im Nationalitätenraster erkunden. Schließlich sind sowohl das Klima als auch seine Protektion ebenso wie der chinesische Wirtschaftsboom globale Phänomene – und nationale Rasterungen sind, zumal wenn man sie gleich mal auf die Bevölkerung und ihre vermeintliche Mentalität herunterbricht, entsprechend kontraproduktiv. Wider besseres Wissen verschleiern sie den Gewinn, den nicht zuletzt deutsche Firmen aus der Abwesenheit von jedweder Regulierung durch die chinesische Führungsriege ziehen, sei es beim Wetter, dem Ressourcenverbrauch oder dem Lohnspiegel.

Aber, Populisten, aufgepasst: Die nächste Chance, die Chinesen als humanistisch gesinnter Europäer an den Ohren zu ziehen, kommt trotzdem. Denn die Olympischen Spiele, 2008 in China, sind bekanntlich die nationale Selbstdarstellungsschau schlechthin. Chinakenner vermuten derzeit, dass für diesen Zeitraum wenigstens in den großen Städten die industriellen Dreckschleudern schlicht abgeschaltet werden. Es steht nicht im chinesischen Interesse, wegen so etwas wie der Umwelt einen nachhaltigen Imageverlust zu kassieren.

Von diesem erwartbaren temporären Niedergang der Giftwerte kann man sich dann täuschen lassen und alles doch gar nicht so schlimm finden. Man kann dann an Europa als umwelttechnischem role model festhalten und finden, dass China von „uns“ dazugelernt hat. Oder man nutzt die Gunst der Stunde, also den Umstand, dass anlässlich des Sportfestes sämtliche Medien Hintergrundberichte über China bringen werden, und fragt einfach mal die konkreten Produktionsbedingungen von deutschen Firmen ab. Dann allerdings dürfte sich dieses Thema kaum mehr zum subkutanen Identitätsgewinn eignen. INES KAPPERT